Lade Inhalt...

Politische Psychoanalyse

©2016 67 Seiten

Zusammenfassung

Erich Fromm war nie ein Psychoanalytiker nur „hinter der Couch“. Er spürte einen inneren Drang und ethischen Impuls, als Psychoanalytiker politisch Einfluss nehmen zu müssen, weil er viele Dinge anders wahrnahm als die Medien und das öffentliche Bewusstsein. Fromms Interesse galt den meist unbewussten irrationalen Antriebskräften, die politisches Handeln mitbestimmen.

Die vorliegende Auswahl von Beiträgen zur ‚Politischen Psychoanalyse‘ aus dem Nachlass Erich Fromms geben Einblick, wie und zu welchen Themen Fromm Verantwortung auf politischer Ebene wahrnahm. Dabei reichen die Themen von der Gefahr eines mit Atomwaffen geführten Krieges, dem Vietnamkrieg und der Zuspitzung des Nahostkonflikts durch die Staatengründung Israels auf Kosten der Palästinenser über eine paranoide und von Projektionen bestimmte amerikanischen Außenpolitik bis hin zur Radikalisierung der Politik durch terroristische Entwicklungen.

Die Beiträge im Einzelnen
- Für eine Kooperation zwischen Israelis und Palästinensern
- Citizens for Reason
- Geistig gesundes Denken und Außenpolitik
- Alternativen zum Atomkrieg
- Sind wir geistig noch gesund?
- Der Vietnamkrieg und die Brutalisierung des Menschen
- Märtyrer und Helden
- Warum ich für McCarthy bin
- Der Terrorismus von Baader und Meinhof
- Der geistige Zustand Amerikas
- Der politische Radikalismus in den Vereinigten Staaten und seine Kritik

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

  • Politische Psychoanalyse
  • Inhalt
  • Für eine Kooperation zwischen Israelis und Palästinensern
  • Citizens for Reason
  • Geistig gesundes Denken und Außenpolitik
  • Alternativen zum Atomkrieg
  • Sind wir geistig noch gesund?
  • Der Vietnamkrieg und die Brutalisierung des Menschen
  • Märtyrer und Helden
  • Warum ich für McCarthy bin
  • Der Terrorismus von Baader und Meinhof
  • Der geistige Zustand Amerikas
  • Der politische Radikalismus in den Vereinigten Staaten und seine Kritik
  • Literaturverzeichnis
  • Der Autor
  • Der Herausgeber
  • Impressum

Für eine Kooperation zwischen Israelis und Palästinensern

(Palestine Cooperation)

(1990t [1948])[2]

Der erste Entwurf

Die Unterzeichner[3] fühlen sich auf Grund ihres Gewissens genötigt, das Schweigen zu brechen, das schon viel zu lange dauert angesichts der lauten Propaganda pro-terroristischer jüdischer Gruppen im ganzen Land. In einer Situation des Gruppenkonflikts, wie er heute zwischen den Juden und den Arabern besteht, vertreten wir den Grundsatz, dass Gruppen und insbesondere ihre Führer sich nicht darauf beschränken dürfen, die Handlungen der gegnerischen Gruppe zu verurteilen, sondern dass sie auch offen die Gewalttaten kritisieren sollen, die von den eigenen Leuten begangen wurden. Wir hoffen, dass sich auch die arabischen und englischen Führer, also die wahren Repräsentanten der Araber, an ihre jeweiligen Gruppen wenden, wie wir uns an die Juden wenden. Aus diesem Geist möchten wir die amerikanische Öffentlichkeit mit wesentlichen Passagen einer Erklärung bekannt machen, die kürzlich in Jerusalem publiziert wurde:

Mit erschreckender Geschwindigkeit haben sich über das ganze Land barbarische Handlungen ausgebreitet. Alte, Frauen, Kinder wurden dabei nicht geschont (...) Glücklicherweise gab es auch Beispiele, bei denen Araber ihr Leben riskiert haben, um Juden zu retten, und Juden Arabern das Leben gerettet haben. Doch Männer, Frauen und Kinder, frei von jeder Straftat, werden immer häufiger vor den Augen der Öffentlichkeit, ja selbst in Gegenwart der Sicherheitskräfte umgebracht (...). Wir wenden uns an die Menschen von Jerusalem. Wir appellieren insbesondere an unsere jüdischen Brüder: Entweiht nicht unseren Namen und unsere Ehre! Wenn auch wir dem Pöbel und den aufgebrachten Verbrecherbanden folgen, werden wir nicht nur nichts Positives erreichen; wir werden vielmehr nur zur Verschlechterung der Situation beitragen, zu einem Anwachsen des Hasses, zu immer noch mehr Vergeltungsmaßnahmen, unterschiedslos und gnadenlos. Wir wenden uns an die öffentliche Meinung und an die jüdischen Führer, jede Möglichkeit wahrzunehmen, um diese verwerflichen Angriffe der Verbrecherbanden zu verhindern (...). Die jüngsten bedauerlichen Unglücke sollten uns zur Warnung dienen, diese Verbrecher nicht über uns regieren zu lassen und nicht mit unseren Händen die moralischen Grundlagen unseres Lebens und unserer Zukunft zu zerstören.
M. Buber – D. W. Senator – J. L. Magnes

[XI-524] Diese Erklärung wird von den Unterzeichnern als so wichtig erachtet, weil sie die folgenden drei wesentlichen Grundsätze enthält:

  1. Die jüdische Ansiedlung in Palästina, um die wir uns aktiv und verantwortlich in Sorge fühlen, muss darauf ausgerichtet sein, die wesentlichen spirituellen und moralischen Grundsätze der jüdischen Überlieferung zu realisieren.
  2. Der Schutz des jüdischen Lebens und Eigentums, den wir für ein unhinterfragbares Recht und eine Aufgabe der jüdischen Gemeinschaft in Palästina halten, darf nicht mit Methoden erreicht werden, die diesen moralischen Grundsätzen zuwiderlaufen und deshalb auf lange Sicht eine Bedrohung für die moralische und physische Existenz der jüdischen Siedlungen darstellen.
  3. Diese Methoden des Terrorismus und des ungezügelten Nationalismus bewirken zugleich, dass man sich die Mehrheit der arabischen Bevölkerung Palästinas, die sich bisher nur in einem geringen Ausmaß an feindseligen Handlungen gegen die Juden beteiligt hat, zum Feind macht. Nur Methoden, die sich von moralischen Grundsätzen her rechtfertigen lassen, können die friedlichen Strömungen in der arabischen Bevölkerung wieder erstarken lassen. Nur so lässt sich eine Kooperation der jüdischen und arabischen Gruppen in Palästina vorbereiten, die für jede produktive Entwicklung und für weitere Einwanderungen in das Heilige Land unabdingbare Voraussetzung ist.

Der überarbeitete Entwurf

Arabische und jüdische Extremisten, die wie fanatische Militaristen den Krieg herbeisehnen, treiben derzeit Palästina rücksichtslos in einen sinnlosen Krieg, der dieses Land verwüsten und möglicherweise die ganze Welt in einen Krieg verwickeln wird. Die arabischen Extremisten dulden keine Juden in Palästina. Die jüdischen Extremisten sind auf die jüdische Vorherrschaft in Palästina versessen, ohne ein Interesse an Demokratie. Mit terroristischen Aktionen spielt jede Seite dieser Extremisten der anderen in die Hand. Dabei ignoriert diese Herrschaft des Terrors die Bedürfnisse und Wünsche der gewöhnlichen Menschen in Palästina.

Auf Grund der natürlichen Gegebenheiten Palästinas muss jede vernünftige Lösung auf einer Kooperation zwischen Juden und Arabern aufbauen. Auch wenn es Krieg gäbe, wäre es für den Frieden notwendig, dass beide Völker zusammenarbeiten, wenn nicht das eine oder das andere ausgelöscht oder zu Sklaven gemacht werden soll. Die Katastrophe wäre nur wenig geringer, wenn eine der beiden Seiten einen deutlichen Sieg erringen würde, denn ein solcher würde zu einer ätzenden Bitterkeit führen, die alle notwendigen gemeinsamen Maßnahmen äußerst schwierig gestalten würde. Der gesunde Menschenverstand nötigt uns zu gemeinsamen Anstrengungen, um einen Krieg zu verhindern und um die Zusammenarbeit zum jetzigen Zeitpunkt zu fördern.

In Palästina gibt es jüdische Gruppen, die in Amerika kaum bekannt sind und die darauf bestehen, dass eine derartige Kooperation wesentlich und auch jetzt praktizierbar ist. Am 28. März 1948 veröffentlichten einige bedeutende Repräsentanten dieser Gruppen eine Erklärung, deren Kernpunkt lautete:

Eine Verständigung zwischen den beiden Völkern ist trotz der ständig wiederholten Behauptung, dass die jüdische [XI-525] und arabische Bestrebung unversöhnlich seien, möglich. Der gewöhnliche Jude und der gewöhnliche Araber sind nämlich keine Extremisten. Sie sehnen sich nach der Möglichkeit, durch Arbeit und Kooperation ihr gemeinsames Land aufzubauen, das Heilige Land.

Die Unterzeichner dieser Erklärung vertreten verschiedene Gruppierungen des palästinensischen Judentums. Außer Dr. Juda L. Magnes, dem Präsidenten der Hebräischen Universität, und zwei seiner Kollegen, Dr. Martin Buber und Dr. David Senator, sind es noch Dr. Kurt Wilhelm, der Rabbiner von Emet ve’Emuna, einer liberalen Jerusalemer Kongregation, Simon Schereschewski, ein Chirurg, der den Misrach-Zionisten angehört, sowie Isaak Molho von der spanischen jüdischen Gemeinschaft in Palästina.

Tausende friedliebende Palästinenser, Juden wie Araber, teilen diese Ansichten im Stillen, trauen sich aber aus Todesangst vor den Machenschaften der Terroristen nicht, sich öffentlich zu ihnen zu bekennen. Diese menschlichen Ansichten, gegen die die Terroristen zu Felde ziehen, spiegeln die wesentlichen Grundsätze der Zivilisation wider, zu denen die Juden ihren Beitrag geleistet haben: die Anerkenntnis des Grundsatzes der Gerechtigkeit und des Sittengesetzes, die Achtung vor dem Individuum und die Bejahung des Lebens. Es wäre äußerst tragisch, wenn sich die Juden in diesen Tagen der Wirrnis einem fanatischen Militarismus unterwerfen und von diesen Prinzipien abwenden würden.

Wir wenden uns an die Juden in diesem Land und in Palästina, sich nicht in eine Stimmung der Verzweiflung und des falschen Heldentums hineinreißen zu lassen, weil eine solche schließlich in selbstmörderischen Schritten endet. Zweifellos lässt sich eine solche Stimmung als Reaktion auf die brutale Vernichtung von sechs Millionen Juden in den letzten zehn Jahren verstehen, sie ist aber dennoch sowohl moralisch wie faktisch destruktiv.

Wir sind davon überzeugt,

  1. dass eine konstruktive Lösung nur dann möglich ist, wenn sie auf Wohlstand und Kooperation für Juden und für Araber in Palästina gründet;
  2. dass die jüdische Gemeinschaft in Palästina ein unhinterfragbares Recht hat, ihr Leben und ihre Arbeit zu schützen und
  3. dass es für die nächste Zukunft für mindestens... einwanderungswillige Juden in Palästina eine Garantie geben muss; danach hängt die Zahl der Einwanderer von den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen im Land ab.

Die Unterzeichner bitten alle Juden inbrünstig, auf die Stimme der Vernunft zu hören, den Geist des Fanatismus und eines falsch verstandenen Heldentums aufzugeben und sich auf das einzig wichtige Ziel zu besinnen. Dies ist das Überleben und die Entwicklung der jüdischen Siedlungen in Palästina auf einer friedlichen und demokratischen Basis und in Übereinstimmung mit den wesentlichen spirituellen und moralischen Grundsätzen, die der jüdischen Überlieferung zueigen sind. Mit Einsicht kann dieses Ziel erreicht werden, ohne dass zu einem Krieg Zuflucht genommen werden muss.

Der in der New York Times vom 18. April 1948 veröffentlichte Text

[XI-526] An den Herausgeber der New York Times:

Arabische und jüdische Extremisten treiben derzeit Palästina rücksichtslos in einen nutzlosen Krieg. Sie glauben zwar, legitime Interessen zu vertreten, doch diese Extremisten spielen nur der jeweils anderen Seite in die Hand. Dabei ignoriert diese Herrschaft des Terrors die Bedürfnisse und Wünsche der gewöhnlichen Menschen in Palästina.

Wir glauben, dass in einer Situation nationaler Konflikte es lebensnotwendig ist, dass Gruppen und insbesondere ihre Führer die Gebote von Moralität und Vernunft in ihren eigenen Reihen aufrecht erhalten, statt sich darauf zu beschränken, ihre Gegner der Verletzung dieser Gebote anzuklagen. Deshalb spüren wir es als unsere Pflicht, mit Nachdruck zu erklären, dass wir keinerlei Nachsicht für Methoden des Terrorismus oder des fanatischen Nationalismus haben, wenn sie von Juden praktiziert werden, noch weniger als von Arabern. Wir hoffen, dass verantwortungsbewusste Araber an ihr Volk in ähnlicher Weise appellieren, wie wir dies für die Juden tun.

Auch wenn es Krieg gäbe, wäre es für den Frieden notwendig, dass beide Völker zusammenarbeiten, wenn nicht das eine oder das andere ausgelöscht oder zu Sklaven gemacht werden soll. Die Katastrophe wäre nur wenig geringer, wenn eine der beiden Seiten einen deutlichen Sieg erringen würde, denn ein solcher würde zu einer ätzenden Bitterkeit führen. Der gesunde Menschenverstand nötigt uns zu gemeinsamen Anstrengungen, um einen Krieg zu verhindern und um die Zusammenarbeit zum jetzigen Zeitpunkt zu fördern.

Eine jüdisch-arabische Kooperation war schon seit vielen Jahren das Ziel weitsichtiger jüdischer Gruppen, die sich gegen jede Art Terrorismus wandten. Kürzlich wurde eine Erklärung einer solchen Gruppe in der amerikanischen Presse unter dem Datum „Jerusalem, 28. März 1948“ veröffentlicht, auf die wir aufmerksam machen möchten. Wir zitieren hieraus einen der Schlüsselsätze:

Eine Verständigung zwischen den beiden Völkern ist trotz der ständig wiederholten Behauptung, dass die jüdischen und die arabischen Bestrebungen unversöhnlich seien, möglich. Die Forderungen der Extremisten sind tatsächlich unversöhnlich. Der gewöhnliche Jude und der gewöhnliche Araber sind jedoch keine Extremisten. Sie sehnen sich nach der Möglichkeit, durch Arbeit und Kooperation ihr gemeinsames Land aufzubauen, das Heilige Land.

Die Unterzeichner der Erklärung vertreten verschiedene Gruppierungen des palästinensischen Judentums. Außer Dr. Magnes, dem Vorsitzenden, unterschrieben Dr. Martin Buber, Professor für jüdische Philosophie an der Hebräischen Universität, Dr. David Senator, der Verwalter der Universität, Dr. Kurt Wilhelm, der Rabbiner von Emet ve’Emuna, einer liberalen Jerusalemer Kongregation, Simon Schereschewski, ein Chirurg, der den Misrach-Zionisten angehört, sowie Isaak Molho von der spanischen jüdischen Gemeinschaft.

Die Unterzeichner dieser Erklärung repräsentieren derzeit nur eine Minderheit. Abgesehen davon, dass sie für einen weitaus größeren Kreis von Menschen sprechen, die sich nicht äußern, sprechen sie auch im Namen jener Prinzipien, die der bedeutendste Beitrag des jüdischen Volkes zur Menschlichkeit waren. [XI-527]

Wir wenden uns an die Juden in diesem Land und in Palästina, sich nicht in eine Stimmung der Verzweiflung oder eines falschen Heldentums hineinreißen zu lassen, weil eine solche schließlich in selbstmörderischen Schritten endet. Zweifellos lässt sich eine solche Stimmung als Reaktion auf die brutale Vernichtung von sechs Millionen Juden in den letzten zehn Jahren verstehen, sie ist aber dennoch sowohl moralisch wie faktisch destruktiv.

Wir sind davon überzeugt, dass eine konstruktive Lösung nur dann möglich ist, wenn sie auf Wohlstand und Kooperation für Juden und für Araber in Palästina ausgerichtet ist. Wir glauben, dass die jüdische Gemeinschaft in Palästina ein unhinterfragbares Recht hat, ihr Leben und ihre Arbeit zu schützen, und dass die Einwanderung der Juden nach Palästina, so gut es geht, erlaubt sein muss.

Die Unterzeichner bitten alle Juden inbrünstig, sich auf das einzig wichtige Ziel zu besinnen: auf das Überleben und die Weiterentwicklung der jüdischen Siedlungen in Palästina auf einer friedlichen und demokratischen Basis. Dies ist der einzige Weg, der die Zukunft in Übereinstimmung mit den wesentlichen spirituellen und moralischen Grundsätzen, die der jüdischen Überlieferung zueigen sind und das Wesen der jüdischen Hoffnung ausmachen, sichert.

New York, 12. April 1948.
Leo Baeck – Albert Einstein

Citizens for Reason

(Citizens for Reason)

(1990u [1955])[4]

Der erste Entwurf (Februar 1955)

Im Interesse der Vernunft und des Überlebens der Menschheitsfamilie

Mehr als ein Jahr schon steht die Welt nahe am Abgrund der Vernichtung der menschlichen Rasse.[5] Bis jetzt konnten der Präsident der Vereinigten Staaten, die Administration und die verantwortlichen Führer im Kongress diese Gefahr abwenden, doch wir leben noch immer im Schatten der Zerstörung unserer selbst, unserer Kinder, der Menschheitsfamilie und der spirituellen und materiellen Errungenschaften. Es ist kaum zu glauben, aber die meisten unserer Mitbürger wissen von dieser Situation, doch dieses Wissen dringt über eine dünne Schicht oberflächlichen Bewusstseins nicht tiefer in sie ein. Sie denken noch immer in Begriffen der Nachkriegszeit; sie glauben noch immer, dass die Kugel den anderen treffen wird, und sie wähnen sich noch immer in der Tradition eines Amerikas, das nicht berührt, geschweige denn zerstört werden kann.

Mitbürger, wir appellieren an Ihre Vernunft, an Ihr Gewissen, an Ihren Überlebenswillen. Hören Sie auf, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen. Bricht erst einmal ein Krieg aus, ist es zu spät, den Lauf der Ereignisse noch zu ändern. Die neuen Waffensysteme sind, sobald sie zum Einsatz kommen, unkontrollierbar, und ihre zerstörerischen Auswirkungen lassen keine Wiederherstellung zu. Wenn einmal die Nahrungsversorgung, die Vegetation, das Wasser und die Luft dieses Planeten verstrahlt sein werden, gibt es kein Entkommen mehr. Die Menschheit lässt sich nicht von diesem Planeten evakuieren.

Die größte Gefährdung ergibt sich aus der chinesischen Situation. Amerika ist sich einig in seinem Abscheu gegen das kommunistische System von Unterdrückung und Terror, sei es in Russland, in China oder sonstwo auf der Welt. Aber diese Abneigung darf unser gesundes Urteilsvermögen nicht beeinträchtigen. Wir haben die Existenz des Regimes in Peking als Faktum anzuerkennen, das von außen durch nichts als durch einen Weltkrieg geändert werden könnte. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass ein solcher Krieg nicht nur das kommunistische Regime, sondern mit ihm auch alle anderen Regierungen auslöschen würde. Wir sind zwar davon überzeugt, dass unsere politischen Führer dies wissen, doch wir befürchten, dass sie statt einer [XI-529] mutigen Politik, die die Konsequenzen aus einem solchen Wissen ziehen würde, einer Politik des „Zu-wenig-und-Zu-spät“ folgen und uns in das Hasardspiel eines Krieges verwickeln. Frühere Kriege lehren uns, dass die gute Absicht, einen Krieg zu vermeiden, nicht ausreicht, um dieses Ziel auch tatsächlich zu erreichen. Regierungen nehmen starre Positionen ein, haben Angst, diese in letzter Minute noch zu ändern, etwas Unvorhergesehenes ereignet sich – und der Krieg bricht gegen jedermanns Absicht aus.

Dies ist in der heutigen Situation die große Gefahr. Wir sind auf unsere Positionen eingefahren und auf Gedeih und Verderb Zufällen oder unverantwortlichen Elementen ausgeliefert, die das Pulverfass anzünden können. Man spricht davon, dass man mit einem „zumutbaren Risiko“ leben müsse. Aber das Risiko eines Atomkrieges ist unter gar keinen Umständen zumutbar. Es ist ein Risiko, das nur ein Verrückter eingehen kann.

Wir sind davon überzeugt, dass abgesehen von einer kleinen Gruppe von Abenteurern die große Mehrheit unserer politischen Führer weder unverantwortlich noch verrückt ist. Wir fürchten aber sehr, dass sich ihr Handeln auf ein tief reichendes Missverständnis zwischen ihnen und dem amerikanischen Volk gründet. Sie scheinen noch immer davon überzeugt zu sein, dass die Mehrheit unserer Landsleute noch immer unter dem Einfluss von hysterischen und selbstsüchtigen Demagogen steht und dass sie, die verantwortlichen Führer, deshalb keine mutige Politik wagen können, weil sie sofort einer weichen Politik bezichtigt würden. Sie glauben, mit aller behutsamen Vorsicht vorgehen zu müssen, weil sie sonst die Zustimmung des Volkes nicht hätten.

Wäre dies wirklich so, dann wäre dies die schlimmste Tatsache in der Geschichte dieser Republik. Die Unterzeichner weigern sich jedoch, daran zu glauben. Wir glauben, dass es ein schreckliches Missverständnis zwischen der Administration und dem Kongress auf der einen und der Mehrheit unserer Bürger auf der anderen Seite gibt. Wir sind davon überzeugt, dass die Mehrheit der Amerikaner genügend Vernunft, genügend gesunden Menschenverstand und genügend Liebe zu ihren Kindern und zum Leben hat, um ein Glücksspiel mit dem Krieg nicht zu wollen. Wir glauben, dass diese Menschen auch genügend Gespür für Selbstvertrauen und Verantwortung haben, um in Krisenzeiten sich zu Wort zu melden und unserer Regierung und unseren Politikern zu sagen, was sie denken. Wir wissen, dass es schon zu Kriegsausbrüchen kam, nur weil es zwischen zwei feindlichen Regierungen zu Missverständnissen kam. Wäre es nicht ein äußerst tragisches Missverständnis, wenn ein Krieg ausbräche, weil das amerikanische Volk und unsere Regierung sich gegenseitig missverstanden?

Wir Unterzeichner stimmen nicht in allen Fragen der Außenpolitik ganz überein. Einige von uns sind für eine sofortige Anerkennung von Rotchina [Volksrepublik China], andere für eine Neutralisierung von Formosa [Taiwan], wieder andere bevorzugen einen langsameren Kurs. Gemeinsam ist uns allen aber die Überzeugung, dass unsere Außenpolitik mutiger sein muss und nicht so zäh, und dass sie von Vernunft geleitet und an den Tatsachen orientiert sein muss, statt dass sie durch die Angst vor einer angeblich unvernünftigen Bürgerschaft entstellt wird.

Wäre die Gefahr nicht so direkt und bedrohlich, könnten wir uns der Hoffnung hingeben, dass sich alles mit der Zeit regeln wird. Da wir aber von der Unmittelbarkeit [XI-530] der Gefahr überzeugt sind, wenden wir uns an alle unsere Mitbürger, unserer Regierung und unseren Politikern deutlich zu machen, dass wir keinerlei Glücksspiel mit dem Krieg und auch kein „zumutbares Risiko“ wollen. Unsere Politiker sollen für den Frieden arbeiten, ohne Angst vor gegnerischen Regimen, unerschrocken aber auch gegenüber den Demagogen in unserer Mitte und ganz bestimmt ohne Furcht vor dem amerikanischen Volk. Wir möchten ihnen sagen, dass die amerikanische Politik aufhören muss, sich vor allem von der Angst vor den aggressiven Absichten Russlands und Chinas beherrschen zu lassen. Sie muss vielmehr geleitet sein von einem tief reichenden Interesse am Überleben und Wohlergehen der menschlichen Rasse. Wird ein solches Interesse in unserer Politik erst einmal bestimmend, dann wird die ganze Menschheit – nicht zuletzt auch jene Menschen, die in Russland und China leben – auf unserer Seite sein.

Wir wenden uns an unsere Mitbürger mit der ernsten Bitte, ihr Gewissen zu fragen, ob sie nicht die Pflicht haben, jetzt laut und deutlich zu sprechen. Wir bitten jeden Leser dieser Erklärung, der uns zustimmt, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, ihren Senatoren und Kongressabgeordneten zu schreiben oder zu telegraphieren und ihre Übereinstimmung mit der Erklärung der Gruppe Citizens for Reason mitzuteilen. Ferner soll jeder nach Art eines Kettenbriefes zehn Freunden schreiben oder telefonieren und sie bitten, das Gleiche zu tun. Bringen Sie in dieser Zeit ernsthafter Gefahr die Stimme des amerikanischen Volkes zu Gehör! Lasst uns der Welt zeigen, dass Demokratie kein leeres Ritual ist, bei dem man nur alle paar Jahre seine Stimme abgibt, sondern eine Wirklichkeit freier Bürger, die sich verantwortlich fühlen und es wagen, ihre Stimme zu erheben.

Nachbarn und Mitbürger, Ihr Leben und Ihre wertvollsten Hoffnungen stehen auf des Messers Schneide. Sie würden niemals schweigen und untätig bleiben, wenn auch nur ein Kind vor Ihren Augen in Todesgefahr käme und gerettet werden könnte. Wollen Sie die Verantwortung auf andere schieben, jetzt, wo die ganze Menschheitsfamilie in Gefahr ist? Wenn Sie laut und vernehmlich sprechen, werden Sie gehört werden, und rationale Entschlüsse werden den Sieg davontragen. Sprechen Sie es aus, bevor es zu spät ist!

Der zweite Entwurf (28. März 1955)

An unsere Mitbürger

Ein neues Faktum bestimmt das Leben des Menschen und die Beziehungen der Völker: die Möglichkeit der totalen Vernichtung. Sollte ein dritter Weltkrieg ausbrechen, wird er das Ende unseres zivilisierten Lebens, wenn nicht das Ende des Lebens überhaupt bedeuten.

Die heutige Situation unterscheidet sich fundamental von allem, was es in der Vergangenheit gab. Haben die früheren Kriege auch unendlich viel Leid in die Welt gebracht, so gab es am Ende doch, wenn es keinen Sieger oder Besiegten gab, zumindest ein Patt. Kein von vernünftigen Menschen regiertes Volk ließ sich auf einen Krieg ein, wenn es nicht spürte, dass es schlechter dran wäre, wenn es nicht kämpfte, bzw. besser, wenn es kämpfte. Eine solche Alternative aber gibt es heute nicht mehr. Sieg oder [XI-531] Niederlage, beide führen zum gleichen Ergebnis für die ganze Menschheitsfamilie. Ist ein Krieg einmal ausgebrochen und sind die neuen Streitkräfte des Todes in Gang gekommen, werden sie jeden Verteidigungswall durchstoßen und außerhalb menschlicher Kontrolle geraten. Sie werden die Sieger ebenso vernichten wie die Besiegten. Angesichts dieser Gegebenheiten davon zu sprechen, unterirdische Bunker aufzusuchen, die Industrie zu dezentralisieren, die Städte zu evakuieren, spottet allem, was wir wissen, nur Hohn. Wenn einmal die Nahrungsversorgung, das Wasser, die Vegetation und die Luft dieses Planeten voll der tödlichen Radioaktivität sein werden, dann gibt es kein Entrinnen mehr. Die Menschheit lässt sich nicht von der Erde evakuieren.

Dies sind die Fakten. Wie ist es dazu gekommen? Beide Seiten vertreten eine Politik, die durch gegenseitige Angst bestimmt ist. Beide drohen dem anderen. Beide sind fieberhaft damit beschäftigt, immer noch mächtigere Waffen der Verwüstung zu produzieren, und jede Seite ist von der Richtigkeit ihrer Sache überzeugt – doch die Welt wird in den Selbstmord geführt. Vernünftige diplomatische Kontakte, die in der Vergangenheit den Frieden gesichert haben, gibt es kaum. Da jede Seite in zunehmendem Maße harte Positionen einnimmt, vervielfachen sich die nervöse Anspannung und die Möglichkeit eines Zwischenfalls. Es kann in einem Jahr, in einem Monat, in jedem Augenblick zu einer Explosion kommen. Dies ist Wahnsinn. Lässt sich ihm noch Einhalt gebieten?

Wir, die Unterzeichner, sind davon überzeugt, dass der Präsident um die Gefahr der Zerstörung weiß und um den Erhalt des Friedens bemüht ist. Er hat sich standhaft zur Wehr gesetzt gegen die wenigen, aber lauten Stimmen, die kurzsichtig bereit sind, das Abenteuer eines präventiven Krieges zu riskieren. Beinahe alle Amerikaner teilen seine Besorgnis. Liegt also die Gefahr eines Krieges gänzlich in der Tatsache begründet, dass die Kommunisten bereit sind, für die Durchsetzung ihrer aggressiven Ziele einen Krieg zu riskieren? Niemand außerhalb der inneren Beratungsgremien weiß dies. Sie haben das Machtvakuum in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zu ihren Gunsten wahrgenommen und haben unser Vertrauen in ihre Zustimmung zu Freiheit und demokratischen Strukturen in den jetzigen Satellitenstaaten missbraucht.

Wir verabscheuen das kommunistische System von Terror und Unterdrückung. Doch dieses moralische Urteil darf uns nicht zu dem Schluss verleiten, dass die Kommunisten den Selbstmord riskieren. Auch sie sind menschliche Wesen und haben Frauen und Kinder; auch sie sind damit beschäftigt, eine wirtschaftliche Struktur aufzubauen, die floriert – wenn auch auf Kosten menschlicher Freiheit. Sie kennen unsere Stärke, so dass sie auch wissen, dass ein Atomkrieg auch ihre eigene Zerstörung bedeutete.

Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass wir in eine solche Sackgasse gerieten? Einige Gründe für die kommunistische Unversöhnlichkeit lassen sich durchaus verstehen: unsere anfängliche Vertrauensseligkeit mit ihnen, die Psychologie eines diktatorischen Systems, der Groll wegen früherer Demütigungen, der Stolz auf den Sieg. All dies mag dazu beitragen, dass es zu einer unvernünftigen und aggressiven Einstellung in der Außenpolitik kommt.

Von unserer eigenen Außenpolitik, besonders wie sie unser Außenminister formuliert, erwarten wir natürlich mehr Weisheit, weniger Fanatismus und eine größere Objektivität als von den politischen Führern unserer Gegner. Die Unterzeichner haben [XI-532] den Eindruck, dass sich unsere Politik nicht auf Flexibilität, Einfallsreichtum und Vorstellungsvermögen gründet, die nötig wären, um mit dieser bedrohlichen Situation fertig zu werden. Sie ist vielmehr widersprüchlich und verwirrend, oft halsstarrig und kompromisslos. Es gab schon Zeiten, in denen wir große Geduld und Bereitschaft zu Verhandlungen zeigten. Aber die Politik ändert sich auf verwirrende Weise. Das Außenministerium scheint von Zeloten und Erzpatrioten eingeschüchtert zu werden, die mit Anschuldigungen wie „Beschwichtigung“ oder gar „Landesverrat“ um sich werfen, sobald jemand nicht ihrer Meinung ist. Schlimmer noch ist, dass unsere Politik von den chinesischen Nationalisten beeinflusst wird, deren einzige Möglichkeit, wieder zu Macht zu kommen, im Krieg liegt, und die versuchen, uns zu Abenteuern zu zwingen, die zwar für sie vielversprechend zu sein scheinen, für uns aber sinnlose und gefährliche Risiken sind. Solange wir versuchen, die Moral von Tschiang Kai-schek zu stützen, werden wir uns immer mehr von den unentbehrlichen Verbündeten und Freunden in Europa und Asien entfremden.

Der Bevölkerung wird gesagt, wir würden unser Gesicht bei den asiatischen Völkern verlieren, wenn wir den harten Worten nicht ebensolche Taten folgen ließen. Doch wir bezweifeln, dass dies auf die meisten asiatischen Länder zutrifft. Es wird immer wieder behauptet, dass diese oder jene Haltung für unser Überleben notwendig sei; dann nehmen wir sie wieder zurück, um die gleiche Behauptung hinsichtlich einer anderen Position zu machen. Unser Verteidigungsminister hat (James Reston in der New York Times zufolge) unzweideutig behauptet, dass die Zugehörigkeit der Inseln Quemoy und Matsu für die Sicherheit von Formosa [Taiwan] und den Pescadores nicht wesentlich sei. Wenn dies zutrifft, dann können Quemoy und Matsu für unsere nationale Verteidigung auch nicht wesentlich sein. Wie können wir es wagen, wegen ihnen einen Weltkrieg zu riskieren? Es wäre also zweifellos realistischer, derartige Äußerungen nur zu machen, wenn wir sie auch mit vernünftigen, und nicht mit leichtsinnigen Aktionen bekräftigen können.

Wir haben den Eindruck, dass unsere Außenpolitik verdrossen und inflexibel geworden ist und in einer Sackgasse steckt. Wir haben die Klagen im Ohr, dass alles getan wurde, was möglich war, und dass es nun an den anderen sei, einen vernünftigen Vorschlag zu machen. Aber haben wir wirklich alles getan?

Die Gefahr, in der wir uns und in der sich die ganze Welt befindet, ist zu groß, um bezüglich unserer Zukunft eine defätistische Haltung akzeptieren zu können, selbst wenn dieser Defätismus in harte Worte gefasst ist. Wir Unterzeichner sind der Überzeugung, dass es defätistisch ist, sich mit der Alternative Kapitulation oder Krieg zufriedenzugeben. Wir können eine vernünftige und gesunde Politik betreiben, die Freiheit und Leben garantiert und beides vermeidet: Kapitulation und Krieg.

Wir haben keine Patentrezepte anzubieten. Doch zu versagen bedeutet, es nicht genug versucht zu haben. Wir müssen es immer noch einmal mit mehr Vorstellungsvermögen versuchen, und dürfen uns nicht selbstgerecht einreden, dass wir keine weiteren Versuche mehr unternehmen müssen, weil unsere Bemühungen bisher zu keinem Erfolg geführt haben.

Bestimmte Tatsachen des Lebens müssen akzeptiert werden, auch wenn wir sie nicht mögen. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Existenz des kommunistischen Regimes in [XI-533] Peking. Ausgehend von den grundlegenden Tatsachen müssen wir Fortschritte machen, und wir können sie auch machen, weil unsere Stärke im militärischen Bereich sowie hinsichtlich der wirtschaftlichen Möglichkeiten und der spirituellen Werte uns bei jedem Versuch, zu Abkommen zu gelangen, Vorteile verschafft. Wir sind davon überzeugt, dass wir all unsere Kräfte, unser Vorstellungsvermögen und unsere Geduld für einen ernsthaften Versuch zum Einsatz bringen müssen, um einen Plan für ein umfassendes Abkommen zu formulieren, bei dem wir – wie auch unsere Gegner – um des Friedens willen zu Konzessionen bereit sein müssen. Wir müssen dabei sehr deutlich machen, wo die Grenzen unserer Bereitschaft für Zugeständnisse sind, doch wir müssen endlich aufhören, um kleinliche und haltlose Positionen zu feilschen.

Mit seinem Aufruf, das Gespräch zu beginnen, hat sich Senator George sehr verdient gemacht. Zunächst müssen die Pläne mit unseren Verbündeten und Freunden in Europa und Asien entwickelt werden, dann mit unseren Gegnern am Konferenztisch. Eine jede Übereinkunft kann dann zu Gesprächen über die jeweilige militärische Stärke führen und wie man zu einem Gleichgewicht der Macht kommen kann. Mit einem solchen Gleichgewicht ließ sich in Europa einmal der Friede für viele Jahrzehnte sichern. Daran kann sich dann zumindest ein Moratorium für weitere Atomwaffenversuche und für die Entwicklung von noch zerstörerischeren Waffen anschließen. Schließlich könnten wir zu einer Übereinkunft über eine beträchtliche Reduktion der Rüstung kommen. Vielleicht brauchen wir Jahre, bis eine solche Stabilisierung erreicht werden kann, entscheidend ist allein, dass wir jetzt damit beginnen.

Mitbürger, wir wenden uns an Sie mit der dringenden Bitte, über diese Fragen nachzudenken und sie zur Sprache zu bringen. Wenn Sie mit dem Geist dieser Erklärung übereinstimmen, schreiben oder telegraphieren Sie Ihren Senatoren und dem Präsidenten, fordern Sie eine konstruktivere, flexiblere und realistische Politik, eine Politik, die vermeidet, in die Falle eines präventiven Krieges zu geraten. Bringen Sie Ihre Forderung zum Ausdruck, dass ein umfassender Plan für ein Abkommen und für eine Konferenz der betroffenen Mächte zustande kommt. Schreiben Sie, was Sie denken. Machen Sie Ihre Mitteilung lang oder kurz. Sprechen Sie mit Ihren Nachbarn. Erheben Sie ihre Stimme. Demokratie ist nicht nur ein gelegentliches Abstimmungsritual, sondern meint das Leben von verantwortlichen, freien Bürgern, die es wagen, ihre Stimme zu Gehör zu bringen.

Nachbarn und Mitbürger, Vernunft und Wirklichkeitssinn sind alles, was uns vor einem atomaren Holocaust bewahren kann. Geben Sie dem vernünftigen Vorschlag den Vorzug! Erheben Sie Ihre Stimme, solange noch Zeit ist.

Das Komitee Citizens for Reason
(Unterschriften)

Der dritte Entwurf (gekürzte und geänderte zweite Fassung vom 4. April 1955)

An unsere Mitbürger:

Ein neues Faktum bestimmt das Leben des Menschen und die Beziehungen der Völker: die Möglichkeit der totalen Vernichtung. Sollte ein dritter Weltkrieg ausbrechen, wird er das Ende unseres zivilisierten Lebens, wenn nicht das Ende des Lebens [XI-534] überhaupt bedeuten. Angesichts dieser Gegebenheiten davon zu sprechen, unterirdische Bunker aufzusuchen, die Industrie zu dezentralisieren, die Städte zu evakuieren, spottet allem, was wir wissen, nur Hohn. Wenn einmal die Nahrungsversorgung, das Wasser, die Vegetation und die Luft dieses Planeten voll der tödlichen Radioaktivität sein werden, dann gibt es kein Entrinnen mehr. Die Menschheit lässt sich nicht von der Erde evakuieren.

Dies sind die Fakten. Wie ist es dazu gekommen?

Beide Seiten vertreten eine Politik, die wesentlich durch gegenseitige Angst gekennzeichnet ist. Beide sind fieberhaft damit beschäftigt, immer noch mächtigere Waffen der Verwüstung zu produzieren, und jede Seite ist von der Richtigkeit ihrer Sache überzeugt; nervöse Anspannung und die Möglichkeit von Unfällen vervielfachen sich. Es kann in einem Jahr, in einem Monat, in jedem Augenblick zur Explosion kommen.

Dies ist Wahnsinn. Lässt sich ihm noch Einhalt gebieten?

Wir, die Unterzeichner, sind davon überzeugt, dass der Präsident um die Gefahr der Zerstörung weiß und um den Erhalt des Friedens bemüht ist. Er hat sich standhaft gegen die wenigen, aber lauten Stimmen zur Wehr gesetzt, die kurzsichtig bereit sind, das Abenteuer eines präventiven Krieges zu riskieren. Wir haben aber den Eindruck, dass sich unsere Politik, besonders wie sie unser Außenminister formuliert, nicht auf Flexibilität, Einfallsreichtum und Vorstellungsvermögen gründet, die nötig wären, um mit dieser bedrohlichen Situation fertig zu werden. Das Außenministerium hat es selbst zugelassen, dass es von Erzpatrioten eingeschüchtert wird, die mit Anschuldigungen wie „Beschwichtigung“ oder gar „Landesverrat“ um sich werfen, sobald jemand nicht ihrer Meinung ist. Schlimmer noch ist, dass unsere Außenpolitik von den chinesischen Nationalisten beeinflusst wird, deren einzige Möglichkeit, wieder zu Macht zu kommen, im Krieg liegt, und die versuchen, uns zu Abenteuern zu zwingen, die zwar für sie vielversprechend zu sein scheinen, für uns aber sinnlose und gefährliche Risiken sind. Solange wir versuchen, die Moral von Tschiang Kai-schek zu stützen, werden wir uns immer mehr von den unentbehrlichen Verbündeten und Freunden in Asien und Europa entfremden.

Im Moment sind wir sehr in Gefahr, wegen der Verteidigung von Quemoy und Matsu in einen Krieg mit China, ja möglicherweise in einen Weltkrieg verwickelt zu werden. Unser Verteidigungsminister hat (James Reston in der New York Times zufolge) behauptet, dass die Zugehörigkeit der Inseln Quemoy und Matsu für die Sicherheit von Formosa [Taiwan] und den Pescadores nicht wesentlich sei. Wenn dies so ist, wie können Quemoy und Matsu für unsere nationale Verteidigung wesentlich sein?

Manche glauben, dass wir in einem Atomkrieg nach Art eines verzweifelten Glücksspiels einen schnellen und leichten Sieg in China riskieren können. Aber was könnten wir denn gewinnen? Ein zerstörtes China, das wir zu besetzen und zu ernähren hätten? Und was würden wir riskieren? Einen atomaren Weltkrieg?

Details

Seiten
Erscheinungsform
Deutsche E-Book Ausgabe
Erscheinungsjahr
2016
ISBN (ePUB)
9783959121965
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (März)
Schlagworte
Erich Fromm Psychoanalyse Sozialpsychologie Politik Krieg Terrorismus Motivation
Zurück

Titel: Politische Psychoanalyse