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FAKE IT TILL YOU MAKE IT

Handbuch für Industrieschauspieler

©2016 232 Seiten

Zusammenfassung

Soziale Faktoren wie Selbstdarstellung, Networking und politisches Geschick sind für die Karriere heute wichtiger als Fachkenntnis und Begabung. Industrieschauspieler beherrschen diese Disziplin perfekt und haben es damit in die höchsten Managementpositionen geschafft. In diesem Handbuch erfahren Sie schauspielerische Tipps und Tricks, die Sie für eine erfolgreiche Karriere benötigen: wie Sie perfekt in ihre Rolle schlüpfen, passendes Bühnenbild und Bühnenkleidung wählen, eine Intrige inszenieren, unbequeme Kollegen ausschalten, karriereoptimiert flirten, und kräfteschonend das Maximale für sich heraus holen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • VORWORT
  • INHALTSVERZEICHNIS
  • TEIL 1: DIE METAMORPHOSE ZUM INDUSTRIESCHAUSPIELER
  • GEKOMMEN, UM ZU BLEIBEN
  • Ihr erstes Engagement
  • Wie im Sandkasten
  • Vorsprechen beim Vorstellungsgespräch
  • Überlebensstrategie in der Probezeit
  • PHASE 1: BEOBACHTEN
  • Beobachtung auf der fachlichen Ebene
  • Beobachtung auf der sozialen Ebene
  • PHASE 2: MITSCHWIMMEN
  • INDUSTRIESCHAUSPIELER ALS ZWEITER BILDUNGSWEG
  • TEIL 2: VENI, VIDI, LODU
  • DAS KOSTÜM DES INDUSTRIESCHAUSPIELERS
  • Krawatte
  • Die „Weiße-Kragen“-Falle
  • Socken
  • Sommer-Sünden
  • DAS BÜHNENBILD DES INDUSTRIESCHAUSPIELERS
  • LIEBEN SIE IHREN CHEF
  • SOCIALIZING UND NETWORKING
  • HORIZONTALES ENGAGEMENT
  • DIE MEETING-STRATEGIE: MEET THEM AND BEAT THEM
  • Worum geht es überhaupt?
  • Teilnehmerkreis
  • Raum und Zeit
  • Aktive Teilnahme
  • Aktives Scheiternlassen eines Meetings: Ihr Werkzeugkasten
  • Frühe Einflussnahme
  • Die Terminfalle
  • Nebelkerzen
  • Pausen
  • Der Vakuum-Trick
  • Kollaborateure
  • Emotionalisierungsmaßnahmen
  • Master of Minutes
  • Après-Meeting-Massaker
  • Herbeiführen des gewünschten Ergebnisses
  • Passive Teilnahme: Ihr Werkzeugkasten
  • Der frühe Vogel
  • Einsatz und Verwendung der Arbeitsmittel
  • Alternativprogramm
  • Protokollfehler
  • Beitrags-Timing
  • TELKO-TIPPS
  • Ankerpunkt 1: Der Opener
  • Ankerpunkt 2: Das Interstitial
  • Ankerpunkt 3: Der Closer
  • DAS GESCHÄFTSESSEN
  • Austragungsort
  • Startzeit
  • Sitz und Platz
  • Jetzt wird bestellt
  • Jetzt wird gegessen
  • Verhaltenstipps am Tisch
  • Abwärts und Seitwärts
  • Flut
  • Rückstände
  • Sturm
  • Tischdame
  • Wein
  • UnAPPetitlich
  • PROFESSIONELLES VERHALTEN IM ETABLISSEMENT
  • Vorbereitung
  • Liquide
  • Mobiltelefon und Apps
  • Körperpflege
  • Einsatzkleidung
  • Vollzug
  • Nach dem Einsatz
  • Nachbereitung
  • Wissens- und Beachtenswertes
  • Sextape
  • Act-Pranking
  • Moralisches
  • Schweigen
  • DIE FIRMENFEIER
  • Die richtige Kleidung
  • Vorglühen vermeiden
  • Eröffnungsrede schadlos überstehen
  • Buffet-Verhalten
  • Party-Smalltalk
  • Chef-Dialog
  • Ausfallmanagement
  • Kontrolliertes Trinken
  • Amouröse Anbahnung und Triebkontrolle
  • Tanzverhalten
  • SPESEN- UND FAHRTKOSTENABRECHNUNG
  • Spesenposten ohne Gestaltungsspielraum
  • Kreative Spesenposten
  • Timing der Abrechnung
  • Firmenwagen
  • A2E
  • Online-Zweitjob
  • Schmiermittel
  • A2E-Formalien
  • Alternative Fortbildung
  • Camouflage
  • WISSEN IST MACHT
  • Der Flurfunker
  • Der Wichtigtuer
  • Der Intrigant
  • UNTER FEINDEN
  • VERSCHLEIERUNGSTAKTIKEN
  • COVER YOUR ASS - ERFOLGREICH SCHEITERN
  • WORK-LIFE-BALANCE
  • BETRIEBSRAT - KARRIEREFALLE ODER LETZTE ZUFLUCHT?
  • THE ONLY WAY IS UP - NACH OBEN FALLEN
  • AUSBLICK UND KÜR
  • FACH- UND FREMDWORTREGISTER
  • ÜBER DEN AUTOR
  • QUELLENVERZEICHNIS

TEIL 1: DIE METAMORPHOSE ZUM INDUSTRIESCHAUSPIELER

Viele Wege führen nach oben. Je nach Kulturkreis und Region haben Menschen unterschiedliche Ansätze für ihre Zielerreichung entwickelt. In der westlichen Welt wurden „Ohne Fleiß kein Preis“ und „Von nichts kommt nichts“ zu unseren Karriere-Parolen. Für den Berufstyp „fleißiges Arbeitsbienchen“ hilfreich erscheinende Berufs-Mantras. Aber die Welt besteht nicht nur aus Arbeitsbienchen. Der Pragmatiker folgt den Regeln der Natur. Wie auch das Wasser sucht er den Weg des geringsten Widerstandes. Denn beruflicher Erfolg setzt nicht voraus, dass man dafür hart arbeiten muss. Mit Einfallsreichtum und Fantasie kann man das Ziel ressourcensparend erreichen. Vorausgesetzt, dass man weiß, wie der Karriere-Hase läuft und wo das Ziel ist. Es bedarf daher einer gut durchdachten Strategie, um mit minimalem Aufwand das Maximale herauszuholen. Gute Pferde springen knapp.

Nur wenige Menschen erfüllt ihre Arbeit voll und ganz, und einige verfolgen dabei sogar humanitäre, philosophische oder religiöse Ziele. Der gemeine Lohnsoldat verrichtet jedoch seinen Job, um einfach nur seine Rechnungen bezahlen zu können. Es ist sogar wissenschaftlich erwiesen (Quelle 1), dass die wenigsten Mitarbeiter einen Sinn in ihrer Arbeit sehen und sich zur Selbstverwirklichung in private Tätigkeiten flüchten. Statistisch gesehen beschäftigt sich ein Angestellter zwei bis drei Stunden am Tag mit rein privaten Dingen. Das bedeutet, dass fast ein Drittel aller Angestellten täglich mehrere Stunden Arbeitszeit zum Privatvergnügen nutzt. Daher ist es nicht überraschend, dass in den USA sechzig Prozent aller Online-Einkäufe und siebzig Prozent aller Besuche pornografischer Webseiten zu Bürozeiten stattfinden. Europa verzeichnet eine ähnliche Tendenz.

Sie müssen daher kein schlechtes Gewissen haben, wenn Sie ohne erkennbares Talent mit durchschnittlicher Motivation Ihr Karriereglück auf dem Arbeitsmarkt versuchen möchten. Dort ist jede Menge Platz für Sie. Leisten Sie nicht mehr als nötig, denn Erfolg ist ohne Burn-out möglich. Mit einer gesunden Work-Life-Balance dazu. Wie eine solche Karriere funktioniert, werden Sie auf den folgenden Seiten erfahren.

Das Wort Karriere kommt aus dem Lateinischen (carrus = Wagen) und bedeutet dem Wortsinn nach Fahrstraße. Karriere machen heißt vorankommen, die Karriereleiter hinaufsteigen. Eine tolle Karriere ist wichtig für unser Selbstwertgefühl. Wer viel verdient, ist viel wert und fühlt sich wertvoll. So funktionieren unsere Gesellschaft, unsere Sozialisierung und unser Belohnungssystem. Darüber hinaus ist Karriere gut für unsere Gesundheit, denn wer sich gut fühlt, wird seltener krank. Der Bedenkenträger mag einwenden, dass nicht alle Kandidaten über die gleiche fachliche Kenntnis und Qualifikation verfügen, um die Karriereleiter zu erklimmen. Aber wer behauptet, dass Fachkenntnis für eine erfolgreiche Karriere erforderlich ist? Nach aktuellen Erkenntnissen beeinflussen nur zehn Prozent unserer fachlichen Leistung den beruflichen Erfolg (Quelle 2). Viel wichtiger sind unsere soziale Intelligenz, die Fähigkeit zur Selbstdarstellung und Andere begeistern zu können. Menschen, bei denen diese Talente ausgeprägt sind, drängen sich in den Vordergrund, denn dies ist ein elementarer Teil ihrer Persönlichkeit. Es ist erstaunlich, wie diese Personen wichtige Unternehmenspositionen bekleiden, über Millionenbudgets und Schicksale tausender Mitarbeiter entscheiden. In unzähligen Büchern und Abhandlungen haben Autoren darüber sinniert, warum „Nieten in Nadelstreifen“ mit „Arschloch-Faktor“ so erfolgreich sein können. Wie haben sie es nach oben geschafft und warum sitzen sie immer noch dort? Sie scheinen weder über besondere Fachkenntnis zu verfügen, noch können sie auf herausragende persönliche Erfolge zurückblicken. Es ist die Gabe zur Selbstdarstellung, über die diese Personen verfügen. Wir neigen dazu, diese Fähigkeit in ihrer Wirkung und Einflussmöglichkeit zu unterschätzen. Dabei es ist große Schauspielkunst, mit der diese Personengruppe so erfolgreich ist. Ein guter Schauspieler beherrscht es, mit Sprache, Mimik und Gestik die Rolle einer anderen Person perfekt zu spielen. Seine Darstellung ist so überzeugend, dass das Publikum der Illusion erliegt, der Schauspieler sei wirklich die dargestellte Rolle. So wird die gespielte Rolle in der Wahrnehmung des Publikums Wirklichkeit. Die Bühne und das Publikum können überall sein. Für den Einen ist die Wirkungsstätte das Theater, für den Anderen die Familie, der Freundeskreis, die Beziehung, der Sportverein. Wir spielen in unserem Leben so viele verschiedene Rollen, um die Erwartungen unseres Publikums zu erfüllen, da liegt es nahe, unsere Bühnenpräsenz auch in die Arbeitswelt auszuweiten. Publikum gibt es dort reichlich, und spannende Rollen auch. Mit den Worten von Werner Mitsch formuliert: „Bei einem guten Schauspieler spielt die Rolle keine Rolle.“

Egal, was Sie gelernt haben, eine Karriere als Industrieschauspieler ist auch für Sie möglich. Ihr Arbeitsvertrag enthält eine Rollenbeschreibung, in der formuliert ist, was Regisseur und Publikum von Ihnen auf der Unternehmensbühne erwarten. Der Regisseur ist Ihr Chef und das Publikum sind Ihre Kollegen. Ein Drehbuch gibt es nicht. Ihr Schauspiel erfordert Konzentration und Flexibilität, denn jeder teilnehmende Schauspieler folgt – wie auch Sie – seiner eigenen versteckten Agenda. Gespielt wird Improvisationstheater. Ihre Kollegen und Ihr Chef liefern täglich frische Themen, die Auslöser und Leitfaden für die spontan entstehenden Büro-Theater-Dramen sind. Ihr Chef hat als Regisseur die künstlerische und organisatorische Leitung. Das Bühnenbild der Büro-Inszenierung wird meist von fantasielosen und pragmatisch denkenden Innenarchitekten entworfen. Auf Spezialeffekte wird heute vorwiegend verzichtet. Der exzessive Einsatz von umherfliegenden Grafikobjekten und lustigen Soundsamples bei PowerPoint-Präsentationen gehört in die Mottenkiste der New Economy. Für den Einstieg in Ihre Industrieschauspielerkarriere müssen Sie zunächst die richtige Rolle und Bühne finden.

GEKOMMEN, UM ZU BLEIBEN

Ihr erstes Engagement

Sie fangen Ihren ersten Job leider nicht als Chef an. Auch wenn das am Schönsten wäre. Wie das Wort Karriereleiter befürchten lässt, beginnt Ihr Aufstieg bei der untersten Sprosse. Aber Augen auf beim Leiterkauf. Ihr Einstiegsjob stellt die Weichen für Ihre kommenden Dienstjahre. Daher müssen Sie bei der Auswahl von Ort und Branche besonders vorsichtig sein. Ihre berufliche Vorbildung ist hierbei nicht ganz unwichtig. Um schnell ein hohes Gehaltslevel zu erreichen, benötigen Sie nicht unbedingt ein abgeschlossenes Studium. Es schadet aber auch nicht. Sollten Sie ohne berufliche Vorbildung und Uni- oder Schulabschluss eine Karriere anstreben, empfehlen sich sogenannte Quereinsteigerbranchen wie z.B. Medien und Werbung. Unter dem Decknamen „Quereinsteiger“ operieren dort ganze Armeen von Industrieschauspielern in den unterschiedlichsten Positionen. Da diese Branchenzweige wenig etablierte Berufsbilder aufweisen, bieten sie talentierten Selbstdarstellern besonders fruchtbaren Boden.

Wenn Sie über den Luxus eines abgeschlossenen Studiums verfügen, stehen Ihnen zwei unterschiedliche Wege offen. Der mühsame Weg beginnt bei einer Unternehmensberatung. Dort erwarten Sie einige Jahre voller Leid und harter Arbeit. In dieser Zeit werden Sie unter Führung eines Sklaventreibers, verkleidet als Junior Berater oder Projektmanager, unzählige PowerPoint-Charts und Excel-Tabellen produzieren, ahnungslosen Kunden nebulöse Rettungs- und Zukunftsstrategien aufbinden, Nächte in trostlosen Hotelzimmern verbringen und völlig erschöpft und kraftlos Ihre Wochenenden rekonvaleszierend auf der Couch verbringen. So deprimierend diese Etappe auch klingen mag, sie ist eine fantastische Vorbereitung für Ihre spätere berufliche Laufbahn, denn Sie lernen, wie man aus Scheiße Kakao macht, Allgemeinwissen und Selbstverständlichkeiten als exklusives Branchen-Know-how verkauft. Ähnlich einem Ballon, steigen Sie immer höher und höher, je mehr heiße Luft Sie produzieren. Und das Großartige daran ist, dass für die Umsetzung Ihrer entwickelten Strategien der Kunde später selbst verantwortlich ist. Sollten Ihre ausgearbeiteten Beratungskonzepte in der Praxis nicht funktionieren, sind Sie schon längst zum nächsten Beratungsopfer weitergezogen. Wenn sich der enttäuschte Kunde später tatsächlich beschwert, hilft für Sie immer die Schutzbehauptung, das wurde alles ganz falsch umgesetzt. Als Berater trifft Sie keine Schuld. Sie haben über Hunderte von Seiten und Charts alles im Detail erklärt. Da muss Ihr Kunde im Katastrophenfall schwere Fehler bei der Umsetzung gemacht haben.

Spätestens im fünften Jahr Ihrer Beraterknechtschaft werden Sie aus einem laufenden Beratungsprojekt vom Kunden übernommen. Dann können Sie endlich wieder am sozialen Leben teilnehmen. Es erwarten Sie geregelte Arbeitszeiten, Schlafen im eigenen Bett und abends mal wieder mit Freunden ein Bier trinken gehen. Aber wie gesagt. Das ist die harte Tour.

Der andere Weg meidet die Knochenmühle der Beratungsfirmen und führt direkt in die Arme des umsorgenden Unternehmens. Wenn Sie wirklich keine Lust und Motivation für ein Unternehmensberaterzwischenspiel haben, können Sie ohne Vorbildung und Umwege die Unternehmensbühne direkt besteigen. Bedenken Sie aber immer, dass der Weg des geringsten Widerstandes nur am Anfang asphaltiert ist. Früher oder später müssen Sie sich die Beratungswerkzeuge effekthaschender Präsentationstechnik und Beratersprech aneignen, um sich langfristig im Unternehmenssattel halten zu können. Ihr Einstiegsgehalt wird auf diesem Weg auch deutlich geringer sein als mit Beratungsvorspiel.

Bei der Jobwahl gilt die Regel: Suchen Sie sich ein Umfeld und eine Einstiegsposition, die wenig Fachkenntnis erfordert, in der viel heiße Luft produziert und ordentlich bezahlt wird. Je größer das gewählte Unternehmen, desto besser ist es für Ihre Industrieschauspielerkarriere geeignet. Mangelnde Fachkenntnis und Unfähigkeit fallen in solchen Menschenansammlungen selten auf. Viele Nichtskönner profitieren in solchen großen Firmen von der Leistung weniger qualifizierter Mitarbeiter. Ein einzelner Leistungsträger mit Fachkenntnis ist in einem Großkonzern statistisch gesehen ein Wirt für zehn bis zwanzig parasitäre Kollegen.

Was Ihr neues Aufgabenumfeld anbelangt, sollte Ihr Fokus im kommunikativen, projektbezogenen und konzeptionellen Bereich liegen. Diese beruflichen Wohlfühloasen finden Sie bei den Stellenanzeigen unter den Bezeichnungen PR-Abteilung, Marketing, Brand, Kommunikation, Business Development, Social Media, Customer Service, Projektmanagement etc. Auf diesen Bühnen können Sie sich als Industrieschauspieler bestmöglich entfalten. Das hierfür erforderliche „gefährliche Halbwissen“ eignen Sie sich schnell an. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit können Sie bereits im Business-Bullshit-Bingo die ersten Treffer landen. Vermeiden Sie alle Positionen, bei denen fachliche Leistungen abgerufen oder Umfang und Qualität Ihrer Arbeit direkt gemessen werden können. Diese Berufsfelder sind für Industrieschauspieler lebensgefährliche Minenfelder.

Auch Start-up-Unternehmen eignen sich für den schauspielerischen Berufseinstieg. Dort treffen Sie in der Regel auf unerfahrene Gründer, die nach Sympathie und nicht nach Können einstellen. Position und Titel können Sie hier frei wählen, und fast jeder ist dort Direktor oder Head of irgendwas. Das macht sich gut in Ihrem noch schlanken Lebenslauf, wenn Sie nach dem ersten Job-Zwischenspiel zu einem seriösen Unternehmen wechseln wollen. Die anfänglich gezahlten Gehälter sind im Start-up-Gründungsjahr ganz ordentlich. Im zweiten oder dritten Jahr merken die Investoren aber langsam, dass die Businessidee nicht so funzt, wie es die Gründer beim Geldeinsammeln versprochen hatten. In dieser Phase wird es hässlich, gespart werden soll an den Mitarbeitern, Obstteller, Masseur, Business-Class-Flüge, Essensgutscheine und sonstige wichtige Annehmlichkeiten werden gestrichen. Die Goldene Regel bei der Start-up-Berufskarriere ist daher: Sie steigen mit einem gutem Gehalt und aussagefähigem Titel ein und sehen sich nach wenigen Monaten schon nach einem neuen Job in einem etablierten Unternehmen um. Bei Ihrem nachfolgenden Arbeitgeber können Sie im Vorstellungsgespräch Ihren Wechselwunsch mit der Inkompetenz der Start-up-Gründer begründen. Sie hätten ja für das Start-up alles gegeben, aber bei solch mangelnder wirtschaftlicher Weitsicht der Gründer war einfach kein Blumentopf zu gewinnen.

Was den regionalen Faktor der Jobwahl anbelangt, gilt nur eine Regel: Karrieren werden in Städten gemacht. Es mag Firmen geben, die Sie mit tollen Jobaussichten in öde Landstriche locken wollen. Man gaukelt Ihnen rurale Romantik und vielversprechende Freizeitangebote vor. Widerstehen Sie! Wie wollen Sie in solch einem Umfeld ein branchennahes Kontaktnetzwerk aufbauen? Verraten und verkauft sind Sie dort und kommen nur schwer wieder weg. Ihr Suchprofil muss sich auf die wichtigen Städte konzentrieren. Es ist wie im richtigen Theater. Die großen Inszenierungen laufen nicht im Deutsch-Sorbischen Volkstheater in Bautzen, sondern im Friedrichstadt-Palast in Berlin.

Wie im Sandkasten

Jeder Anfang ist schwer, und vor Ihrem ersten Auftritt als Industrieschauspieler ist ein bisschen Lampenfieber ganz normal. Lampenfieber ist eine natürliche Reaktion, die uns die Evolution in die Wiege gelegt hat. Seine ursprüngliche Funktion lag darin, uns in gefährlichen Situationen beim Überleben zu helfen. Im Lampenfieber-Moment befinden wir uns in körperlicher und geistiger Anspannung, denn eine anspruchsvolle Aufgabe erwartet uns. Der Körper pumpt Adrenalin ins Blut, um sich auf die Flucht oder den Kampf vorzubereiten. Flucht kommt als Handlungsoption für einen Industrieschauspieler nicht in Frage. Es bleibt nur der Kampf. Der Kampf um Aufmerksamkeit und Applaus für Ihre Vorstellung. Es ist nicht viel anders als damals beim fröhlichen Burgenbauen im Sandkasten. Stellen Sie sich vor, Sie gehen wieder spielen. Ihre Spielkameraden sind die neuen Arbeitskollegen und der Sandkasten ist das Büro. Viel hat sich nicht verändert. Es gibt immer noch den Schüchternen, der alleine in der Ecke spielt, den Grobian, der die Sandburgen zertrampelt, und ein paar nette Kumpels, mit denen man ganz passabel die Zeit totschlagen kann. Reduziert auf vier Grundregeln, erklärt sich die Arbeitswelt für den Industrieschauspieler wie folgt:

  1. Alle kochen nur mit Wasser
    Verabschieden Sie sich von der Vorstellung, dass in Firmen Raketenwissenschaften betrieben werden. Neunzig Prozent der dort zu erledigenden Aufgaben sind trivial und erlernbar. Alle Kollegen kochen nur mit Wasser, auch wenn sie nach außen hin so tun, als handele es sich um den teuersten Champagner.
  2. Wer ficken will, muss freundlich sein
    In jedem Unternehmen arbeiten Menschen, und jeder Mensch ist harmoniebedürftig und verfolgt dabei sein eigenes, egoistisches Ziel. Wenn Sie von Kollegen etwas wollen, müssen Sie charmant und freundlich sein, damit man Sie ranlässt. Einem Miesepeter hilft keiner und befördert wird er auch nicht.
  3. Fake it till you make it
    Keine falsche Bescheidenheit. Jeder hat ahnungslos begonnen. Verkaufen Sie sich als Universalgenie für jede Aufgabe. Es wird sich schon eine Lösung finden. Das Wissen ist bereits in der Firma. Es muss nur noch zu Ihnen kommen. Suchen Sie es und verschleiern Sie bei der Suche Ihre Inkompetenz mit kommunikativen Blendgranaten. Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben.
  4. There’s no business like show business
    Ihre berufliche Karriere ist die Show. Bleiben Sie in Ihrer Rolle und überlassen Sie die stupide Maloche den fleißigen Kollegenarbeitsbienchen. Denn den Karriere-Preis gibt’s auch ohne Fleiß. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Selbstdarstellung und das Seelenfangen. Menschen brauchen Menschen, um Erfolg zu haben. Spielen Sie Ihre Kollegen an die Wand, denn ob Sie klug sind oder dumm, entscheidet stets das Publikum.

Diese Regeln sollen Ihre Reise durch das Firmenuniversum wie Leuchttürme überstrahlen. Folgen Sie Ihnen in die blühenden Karrierelandschaften. Aber bleiben Sie stets aufmerksam, denn auch Fallgruben und Stolpersteine säumen Ihren Weg nach oben. Unpassendes und unüberlegtes Verhalten kann Ihre Karriere nachhaltig beschädigen. Ein falscher Schritt, und Ihr mühevoll errichtetes Kartenhaus fällt in sich zusammen. Solche beruflichen Fehltritte nennt man Career Limiting Moves (CLMs). Ihr CLM-Konto muss auf Ihrem Karriereweg so wenig Treffer wie möglich aufweisen. In den nachfolgenden Kapiteln werden die wichtigsten Karriere-Minen als CLMs jeweils am Ende zusammengefasst.

Vorsprechen beim Vorstellungsgespräch

Sobald Sie die passende Einstiegsposition und den richtigen Austragungsort für Ihren ersten Auftritt gefunden haben, beginnt Ihre Vorbereitung. Sie benötigen einen überzeugenden Lebenslauf. Wie Sie aus Ihrem bisher ereignis- und erfolglosen Leben einen Überflieger-Lebenslauf erstellen, entnehmen Sie den zahlreichen Ratgebern, die zu diesem Thema geschrieben wurden. Dort erfahren Sie auch, wie Sie mit einem selbstbewussten und offensiven Anschreiben zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden. Vermeiden Sie devote Anbiederungsbriefe. Die wandern sofort zum unteren Ende des Bewerberstapels. Sobald Ihr Vorsprechtermin steht, beginnt Ihre Show. Wie auch im richtigen Theater hängt nun alles davon ab, wie gut Sie Ihre Rolle spielen und ob Sie Ihr Publikum begeistern können. Ihre neue Rolle bereiten Sie anhand der Stellenbeschreibung gewissenhaft vor. Damit Sie beim Vorsprechen glänzen können, sollten Sie sich vorher ausgiebig mit dem Charakter des Unternehmens, seinen Rivalen im Markt und seiner Führungsmannschaft auseinandergesetzt haben. Nur so können Sie eine glaubhafte Vorstellung abliefern. Das wartende Publikum wird sich ausführlich mit Ihrem offensiven Anschreiben, Ihrem frisierten Lebenslauf und Ihren angeblichen Qualifikationen auseinandergesetzt haben. Groß ist die Vorfreude Ihrer Gesprächspartner auf das nun kommende, interaktive Happening. Ihre Bühnenkleidung sollten Sie perfekt auf den Company-Dresscode abgestimmt haben. Hierfür eignet sich die Google Bildersuche, mit dem Schwerpunkt Firmenevents und Firmendarstellung. Welche bunten Kostüme tragen Ihre zukünftigen Kollegen bei diesen Events auf den Fotos? Richten Sie Ihre Kostümierung entsprechend darauf aus. Erscheinen Sie ausgeschlafen und pünktlich und bewegen Sie sich vorher ein bisschen. Das verleiht Ihnen eine gesunde Gesichtsfarbe. Verzichten Sie auf Kaffeegenuss vor dem Termin, denn das Koffein verstärkt Nervosität. Atmen Sie durch. Ihr Puls wird nun leicht erhöht schlagen. Gleich geht der Vorhang auf und Ihre Vorstellung beginnt.

Sobald der Personaler Ihnen die Hand reicht, greifen Sie kurz und entschlossen zu. Halten Sie Blickkontakt, bedanken Sie sich brav für die Einladung und stellen Sie sich vor. So weiß jeder Teilnehmer, welche Schauspielgröße nun die Bühne betritt. Der erste Akt beginnt mit Smalltalk. Das liegt nicht jedem. Ihnen vielleicht auch nicht. Sollten Sie darüber nachdenken mit „Wie stehen Sie zum Thema Atomkrieg, Samenspende oder Sterbehilfe?“ oder „Und sonst so?“ zu beginnen – STOP! Beachten Sie die PKRS-Regel. Auf dem Spielfeld des Smalltalks erfordert die Regelanwendung die konsequente Vermeidung der Themen Politik, Krankheit, Religion und Sex (=PKRS). Diese moralgeschwängerten Themen unterliegen den sich ständig ändernden Vorstellungen der Gesellschaft. Ob Gürtellinie oder Bratwurstäquator, die persönlichen Grenzen und regionalen Einfärbungen Ihrer Gesprächspartner sind Ihnen zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt. Vielleicht ist der anwesende Personaler ein passioniertes Mitglied einer ultrarechten Burschenschaft und brennt darauf, Rommels Wüstentour mit Ihnen zu diskutieren. Sie können bei diesen Themen nur verlieren, da der folgende Gesprächsverlauf früher oder später eine moralische Stellungnahme von Ihnen einfordern wird. Weichen Sie auf unverfängliches Smalltalk-Terrain aus und erfrischen Sie Ihr Publikum mit einer Themenauswahl, die zur Branche des Unternehmens passt. Selbst wenn bei Ihren Smalltalk-Manövern ein Großteil des Publikums wie die Zuhörer eines Orgelkonzertes in Hannover auf Sie wirkt, lächeln Sie und lassen Sie sich Ihre gute Laune nicht verderben. Denn Sie sind heute super drauf. Versuchen Sie, das Eis zu brechen und Ihr Publikum für sich zu erwärmen. Dabei sitzen Sie aufrecht, leicht nach vorne gelehnt und versuchen sich permanent der Körpersprache Ihres Publikums anzupassen. Forscher sprechen vom Chamäleon-Effekt (Quelle 3), der besagt, dass wir Menschen umso sympathischer finden, je ähnlicher sie uns sind. Vermeiden Sie dramatische und hektische Gesten. Setzten Sie Ihre Mimik und Gestik gezielt und professionell ein. Nach dem Smalltalk-Warm-up geht’s zur Sache. Ihr Publikum erwartet einen strukturierten und überzeugenden Vortrag der Highlights Ihres bisherigen Lebens. Dabei tragen Sie glaubhaft vor, warum gerade Sie für die ausgeschriebene Rolle eine Traumbesetzung wären. Bei der Standardfrage nach Ihrer Schwäche kontern Sie nicht amateurhaft mit „Meine Ungeduld“ (Das will heute keiner mehr hören, ist auch keine Stärke, sondern ein Minuspunkt. Geduldige Menschen sind glücklicher, gesünder und verdienen mehr.), „Perfektionismus“ (bedeutet, der Kollege wird nie fertig, ist ein Pedant und unflexibel) oder „Hilfsbereitschaft“ (bedeutet, Sie können nicht nein sagen, werden ständig ausgenutzt und sind ein trauriger, schwacher Charakter). Stattdessen glänzen Sie mit rhetorischen Sternstunden wie „Meine Excel-Kenntnisse sind immer noch nicht so perfekt, wie ich das gerne hätte“ oder wenn Sie mehr der Understatement-Typ sind mit „… dass ich mich in Vorstellungsgesprächen nicht immer so gut verkaufe, wie ich wirklich bin“ (dabei lächeln Sie leicht verschmitzt). Nach Ihrer Eröffnungsshow lassen Sie das Publikum sprechen. Die haben lange zugehört und wollen jetzt auch mal was sagen. Man wird Ihnen das Unternehmen vorstellen und vielleicht auch noch was zu der zu besetzenden Rolle sagen. Selbst wenn Sie das langweilt, schalten Sie nicht ab, sondern machen Sie freudig mit. Man möchte prüfen, ob Sie wirklich an dem Unternehmen interessiert sind. Bei der Frage „… ob Sie noch etwas über das Unternehmen oder den Job wissen möchten“ nicken Sie freudig. Ins Abseits spielen Sie sich mit Fragen wie „Ist mein Chef nett?“ oder „Ab wann gibt’s da eine Gehaltserhöhung?“ Reißen Sie geschickt das Gespräch an sich. Wer fragt, der führt. Die Zeit vergeht wie im Fluge und Ihre Show ist schneller um, als Sie denken. Im letzten Akt werden noch Formalien und Fristen geklärt und Sie dürfen höflich fragen, wie lange der Bewerbungsprozess dauern wird. Am Folgetag sollten Sie ein höfliches Dankesschreiben für den spannenden Termin versenden und nach zwei Wochen dürfen Sie das erste Mal fernmündlich nachfragen, ob schon eine Besetzungsentscheidung gefallen sei. Bleiben Sie cool und lassen Sie auf keinen Fall den Eindruck entstehen, Sie wären verzweifelt oder ungeduldig. Auch wenn es Ihr Wunsch-Engagement wäre – es gibt noch viele andere tolle Bühnen, bei denen Sie vortanzen können.

CLMs (Career Limiting Moves) beim Vorsprechen

Überlebensstrategie in der Probezeit

Sollten Sie im Auswahlverfahren eine solide schauspielerische Leistung abgeliefert haben, dürfen Sie nun die Bühne Ihres zukünftigen schauspielerischen Wirkens betreten. Vor kritischem Kollegenpublikum beginnt Ihre Showpremiere. Wie auch bei einer neu gewählten Regierung, haben Sie hundert Tage Zeit, sich in Ihre Rolle einzuleben und eine möglichst glaubhafte Vorstellung abzuliefern. Aber Vorsicht. Bereits etablierte Kollegen haben Fettnäpfe und Stolpersteine für Sie vorbereitet, die Sie in der Folgezeit souverän umschiffen sollten. Immerhin zehn bis fünfzehn Prozent aller Arbeitsverträge werden noch während der Probezeit aufgelöst. Zu dieser bemitleidenswerten Fallgruppe sollten Sie nicht gehören. Mit der passenden Überlebensstrategie können Sie Ihren Einstand meistern. Ganz alleine sind Sie auf diesem Weg nicht, denn auch Ihr neuer Chef hat Interesse daran, dass Sie an Bord bleiben. Schließlich hat er Sie persönlich ausgewählt und man würde sehr an seiner Kompetenz zweifeln, wenn Sie sich als schneller Rohrkrepierer entpuppen.

Beobachten und Mitschwimmen ist für die ersten hundert Tage Ihr Zweiphasenplan. Die Regieanweisung für Ihre erste Zeit lautet: viel hören, viel sehen und wenig sagen. Beginnen Sie den sozioökonomischen Mikrokosmos Ihres neuen Brötchengebers zu erkunden. Unterscheiden Sie bei Ihrer nun einsetzenden Analyse die fachliche und soziale Ebene.

PHASE 1: BEOBACHTEN

Beobachtung auf der fachlichen Ebene

Zur fachlichen Ebene gehören die eingespielten Arbeitsabläufe, Ablagesysteme, Hierarchien, Aufgabenverteilungen und Formalien Ihrer neuen Firma. Für viele Vorgänge gibt es über Jahre gewachsene Strukturen. Ein Protokoll hat einen bestimmten Aufbau, Kollegen pflegen bei E-Mails eine bestimmte Ansprache, die Reisekostenabrechnung weist ungeahnte Komplexitäten auf, es gibt einen Dschungel von Ordner- und Ablagestrukturen, das Intranet ist vollgepackt mit Informationen, wer macht wann wie mit wem Kaffeepause etc. Die meisten Dinge mögen Ihnen auf den ersten Blick ineffizient und unlogisch erscheinen. Hinterfragen und kritisieren Sie nichts. Vielleicht war das besonders sinnlos erscheinende Ablagesystem die große, innovative Idee Ihres Chefs. Sätze wie „Bei meiner letzten Firma haben wir das aber anders gemacht …“ sind unpassend. Vergleichen Sie Ihr Arbeitsumfeld mit einer Glaubensgemeinschaft. Jeder hält sein System für das Beste. Nehmen Sie beherzt diesen neuen Glauben an und werden Sie nicht zum satanistischen Geisterfahrer auf der neuen Firmenautobahn.

Auf der fachlichen Ebene haben Formalitäten eine besondere Wichtigkeit. Formalistische Grundsätze und Abläufe sind die Rettungsboote der Erbsenzähler und Konzern-Angsthasen. Und davon gibt es eine ganze Menge in Ihrer neuen Arbeitsumgebung. Formalien geben Sicherheit und wirken für viele Kollegen wie Glaubensgrundsätze. Akzeptieren Sie diese als gottgegeben. Überall, wo Ihnen nun die starre Fratze der Formalie entgegenlächelt, lächeln Sie zurück und geben Sie sich ihr willenlos hin. Es wird von Ihnen erwartet, dass Sie auf der formalen Ebene perfekt funktionieren. Kein Chef hat Lust, ständig Ihre Reisekostenabrechnungen, Urlaubsanträge, Protokolle etc. wegen Formmängeln auf seinem Tisch zu haben. Bitten Sie daher bei Ihrem ersten formalistischen Einsatz Kollegen um Hilfe, die Ihnen auf diesem Gebiet parkettsicher erscheinen. Sekretärinnen, Buchhalter und Assistenten der Geschäftsleitung sind besonders geeignete Kandidaten. Falsche Ansprechpartner sind Kollegen aus dem Kreativ- und Vertriebsbereich, denn sie scheitern bis heute an diesen Aufgaben. Bemühen Sie auf keinen Fall Ihren Chef als Ausfüllhilfe. Der zeigt Ihnen für diesen Zeitdiebstahlversuch schnell die Gelbe Karte.

Um sicher im Konzern-Dschungel voranzukommen, müssen Sie auf den bestehenden Dienstwegen bleiben. Viele Mitarbeiter definieren sich über Hierarchien und Zuständigkeiten. Für jede Zuständigkeit und Hierarchie gibt es einen genauen Dienstweg. Auch diese mögen Ihnen seltsam und unlogisch erscheinen. Sollten Sie Abkürzungen oder Umwege einschlagen, werden Ihnen die Kollegen das als persönliche Beleidung oder Unfähigkeit auslegen. Bleiben Sie daher stumpf auf dem Dienstweg, sonst sind Sie schnell auf dem Holzweg.

Was Ihre fachliche Kompetenz anbelangt, haben Sie im Vorstellungsgespräch Ihrem Chef den größten Bären aufgebunden. Nun gilt es, diesen Schein so lange wie möglich zu wahren. Im Zweifel haben Sie keine oder nur sehr geringe Ahnung, was Sie in Ihrer neuen Firma in Zukunft leisten sollen. Ihr Chef erhofft sich, dass Sie schnell auf der erforderlichen Leistungshöhe ankommen und keine zusätzliche Belastung, sondern einen Zugewinn darstellen. Diese Diskrepanz muss Ihnen nicht den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Für den Industrieschauspieler gibt es wirksame Mittel und Wege, diese karrieregefährdenden Klippen zu umschiffen. Schon in den ersten hundert Tagen werden Sie vereinzelt mit Situationen konfrontiert werden, die fachliche Leistung von Ihnen fordern. Daher ist es für Sie wichtig zu beobachten, welche Kollegen Aufgaben besonders gut lösen. Diese Top-Problemlöser-Kollegen sind Ihre zukünftigen fachlichen Rettungsanker. Auf ihre Hilfe sind Sie angewiesen, wenn Ihr Chef plötzlich unerwartet Leistungen von Ihnen einfordert. Wie Sie diese wichtigen Kollegen auf Ihrer zukünftigen Haben-Seite verbuchen können, erfahren Sie in den nachfolgenden Kapiteln.

Sie müssen nun auch die neue Fachsprache Ihrer Firma erlernen. In den ersten Wochen werden Sie eine Vielzahl von Abkürzungen und Fremdwörtern hören, die Sie schnellstmöglich in Ihr Vokabular aufnehmen sollten. Das Vokabular Ihres Chefs ist Ihre neue Sprachwelt. Hängen Sie an seinen Lippen und üben Sie die neuen Begriffe. Für Ihre ersten Sprachübungen wählen Sie zunächst den Kollegenkreis, bevor Sie versuchen, vor Ihrem Chef damit zu brillieren. Sollten Sie Liebhaber der deutschen Sprache sein, ehrt Sie das. Aber wenn Ihr neuer Arbeitgeber Anglizismen-Fan ist, sparen Sie sich Ihre Deutschtümelei für zu Hause. Ein Bildschirmfoto ist dann eben ein Screenshot, ein Protokoll heißt Meeting Minutes, und Sie entschuldigen sich nicht in die Keramikabteilung, sondern nehmen einen Bio-Break. Committen Sie sich für Ihr Headquarter zum Change-Prozess, leveragen Sie Ihre Skills und Learnings mit Challenger Spirit, damit Ihre Performance oberhalb der Benchmark gesaved wird. Machen Sie Ihre Company Credibility zu Ihrem persönlichen Awareness Issue. Believe it or not – das ist für Sie und Ihre Firma eine perfect Win-win-Situation mit Transformation Booster.

Zur Fachsprache gehört auch das Siezen und Duzen. Unnötige Blamagen vermeiden Sie, wenn Sie sich hierzu Hilfestellung in der Personalabteilung holen. Die Kollegen dort haben ein Interesse daran, dass Sie sich schnell und gut einleben, denn auch dort hat man sich im Bewerbungsverfahren für Sie stark gemacht. Bei unklarer Gefechtslage eröffnen Sie das Gespräch immer mit „Sie“ und bleiben Sie beim „Sie“, auch wenn sich die Kollegen untereinander duzen. Manchen verschafft es ein höheres Selbstwertgefühl, wenn sich der Neue erst einmal das „Du“ erarbeiten muss. Das ist zwar Kinderkram, aber lassen Sie den Social-Nerds ihren Spaß. Sie stehen über diesen Dingen und lächeln souverän und dankbar, wenn Ihnen nach guter Führung die Kollegen das kumpelhafte Du andienen. Bei E-Mail-Kommunikation an einen unbekannten Verteilerkreis recherchieren Sie, wie Kollegen die Runde begrüßen. Oft fahren Sie mit einem „Hallo zusammen“ ganz gut, in konservativen Firmen wird schon mal ein „Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen“ gefordert. Bei Unsicherheit stürzen Sie sich nicht in unüberlegte Kamikaze-Aktionen, sondern fragen Sie vorher nach, wie man es richtig macht. Fragen sind in der Startphase die beste Vorsorge gegen verschnupfte Kommunikations-Rezipienten.

Beobachtung auf der sozialen Ebene

Besonders spannend sind die Beobachtungen auf der sozialen Ebene. Hier gilt es geheime Bündnisse, Beziehungsgeflechte und Animositäten aufzudecken. Wer lästert über wen und warum, wer kann und kann nicht mit wem, wo lauern die sozialen Tretmienen, wer sind die Opinion-Leader, wer die Loser, wer steigt mit wem in die Kiste. Hören Sie ganz genau hin, wenn bei Lunch und Kaffeepausen die nikotin- und koffeingelockerten Zungen über Zwischenmenschlichkeiten plaudern. Spätestens jetzt werden Sie zum Kaffee-Junkie – auch wenn Sie vorher ein leidenschaftlicher Teetrinker waren. Denn am Kaffeeautomaten gibt es die heißen News. Ob Sie sich zur Informationsbeschaffung auch noch das Rauchen angewöhnen müssen, hängt vom Suchtverhalten der Key-Player ab. Sollten die Platzhirsche wie ein Schlot qualmen, bleibt Ihnen leider nichts anderes übrig als mitzuquarzen. Raucherpausen sind sprudelnde Quellen für Betriebsinterna. Da müssen Sie dabei sein, um flächendeckende Informationsübersicht gewährleisten zu können. Wenn es gar nicht anders geht, paffen Sie zumindest mit und versuchen Sie Lungenzüge zu simulieren. Durch kurzes An-der-Zigarette-ziehen und darauffolgendes Halten des Rauches im Mundinnenraum können recht glaubhafte Ergebnisse erzielt werden. Rauchen Sie unbedingt die Lieblingsmarke Ihres Chefs oder die der relevanten Zielpersonen. In passenden Momenten können Sie so immer eine Zigarette anbieten. Sollten in Ihrer Raucherumgebung die vorherrschenden Marken Gitanes, Schwarzer Krauser oder Belomorkanal sein, spielen Sie sich mit Light- und Menthol-Zigaretten schnell ins Abseits. Es geht jetzt nicht um Ihre Gesundheit oder Ihren persönlichen Rauchgenuss, sondern einzig und allein um das interaktive Dabeisein. Das bisschen Teer wird Ihnen Ihre Lunge schon nachsehen.

Fokussieren Sie bei der Informationssammlung Ihre Abhörtätigkeit auf etablierte Mitarbeiter. So erfahren Sie wichtige Hintergründe zu Personalkonstellationen und Bündnisfragen. Ob Frau Müller aus dem Controlling eine heiße Affäre mit dem Facility-Manager Herrn Krause hat, braucht Sie nicht weiter zu interessieren. Konzentrieren Sie sich auf die Personen und Verbindungen, die Macht im Unternehmen ausüben. Versuchen Sie herauszufinden, was diese Personen außerhalb der Firma gemeinsam treiben. Oft organisieren besondere Personengruppen außerbetrieblich gemeinsames Gruppentrinken oder sportliche Veranstaltungen, um die sozialen Verbindungen zu intensivieren. Man spricht hier von der Bildung sogenannter Inner-Circles. Das sind die wahren Zentren der Macht, zu denen Sie langfristig dazugehören müssen.

Je nach geistigem Fassungsvermögen könnte es sich für Sie auszahlen, elektronische Karteikarten und Notizen zu den einzelnen Key-Playern anzulegen. Eine Technik, die sich nicht nur in Geheimdienstkreisen zunehmender Beliebtheit erfreut. Wie heißen die Kinder und die Frau des Kollegen, welche seltsamen Hobbies pflegt er, welchen Sportverein unterstützt er, was hört er für Musik, welche Filme mag er? So können Sie sich für kommende Socializing-Events optimal vorbereiten. Die Kollegen werden begeistert sein, wenn Sie das Gefühl vermitteln, ihnen hört endlich jemand zu und interessiert sich auch außerhalb der Firma für sie.

Besonders Ihren Chef sollten Sie genau beobachten. Welchen Lagern und Gruppierungen gehört er an, wer sind seine engsten Vertrauten? Was macht er nach Büroschluss? Auf welche Kolleginnen hat er ein besonderes Auge geworfen? Es schadet nicht zu wissen, wie er seinen Kaffee trinkt. Dafür ist zwar seine Sekretärin zuständig, aber wenn Sie mal mit ihm auf Geschäftsreise sind, können Sie extra punkten, wenn Sie ihm die richtige Bohnenkreation anbieten.

Apropos Sekretärin.

Besonders in der Probezeit sollte dieser Person Ihre besondere Aufmerksamkeit gelten. Analysieren Sie genau, wie Ihr Chef mit seiner Sekretärin umgeht, wieviel Vertrauen sie genießt und über welche Entscheidungskompetenz sie verfügt. Oft organisieren diese Damen auch das Privatleben der Chefs, kümmern sich um Geburtstagsgeschenke, Urlaubsreisen, Tischreservierungen und Theaterkarten. Sie haben die Macht über den Terminkalender und steuern, wer wann und wie lange einen Termin beim Chef bekommt. Sekretärinnen können ein Quell von nützlichen Informationen für Sie sein. Sie kennen die Firmenfettnäpfe und ungeschriebenen Unternehmensgesetzte und wissen früh über neue Entwicklungen in der Firma Bescheid. Erforschen Sie vorsichtig ihre Verhaltensweisen und ihr firmeninternes Beziehungsgeflecht. Aber auch private Dinge sollten Sie recherchieren. Was sind ihre Hobbies, was mag sie gerne, was können Sie ihr als kleine Aufmerksamkeit aus dem Urlaub mitbringen. Achten Sie darauf, bei ihr niemals in den Verdacht der Indiskretion zu gelangen. Wenn die Chefsekretärin mitbekommt, dass Sie vertrauliche Informationen munter weitergeben, sind Sie bei ihr schnell unten durch.

Bei allen interessanten Dingen, die Sie auf fachlicher und sozialer Ebene in den ersten Tagen und Wochen beobachten, werden sich Fragen und Rätsel ergeben, die Sie aufklären müssen. Sammeln Sie die Fragen und versuchen Sie, diese zunächst selbst zu beantworten. Obwohl jeder Kollege die Zeit hätte, Ihnen bei der Beantwortung zu helfen, hat keiner wirklich Lust dazu. Alle simulieren extreme Geschäftigkeit und sind mit irgendetwas Belanglosem ständig im Terminstress. Für sie hatte damals auch keiner Zeit und den schweren Weg können Sie mal schön alleine gehen. Für die unlösbaren Konzernrätsel suchen Sie sich einen kompetent und freundlich wirkenden Kollegen und bitten ihn, in der Mittagspause oder bei einem Kaffee, um seine Hilfe. Meiden Sie Kollegen, die Sie als Konkurrent betrachten könnten. Liebend gerne würde diese Sie mit unklaren Antworten aufs Glatteis führen, denn man würde Sie lieber heute als morgen scheitern und von Bord gehen sehen.

Sobald Sie die fachliche und soziale Ebene ausreichend studiert haben, sollten Sie schnellstmöglich in den Strom der Konzernmonotonie eintauchen. Jetzt beginnen ihre ersten Schwimmübungen in fremden Gewässern.

PHASE 2: MITSCHWIMMEN

Mitschwimmen bedeutet nicht, dass Sie sich ausschließlich passiv vom Strom der Kollegen und Meetings forttragen lassen. Ein kleines Maß an Aktivität wird auch von Ihnen als junger Mitschwimmer gefordert. Ihre Flossenschläge sollten jedoch dezent und zurückhaltend sein.

Vermeiden Sie auf der fachlichen Ebene jede Form von Übereifer und Reformbestrebungen. Sie wurden nicht als neuer Martin Luther für Betriebsreformen eingestellt. Einige Ihrer Schauspielerkollegen sorgen in diesem Zusammenhang für besondere Sicherheit: Wo sie sind, passiert nichts. Diese Strategie verhindert zwar jede mögliche Form von Fehltritten, verbannt sie aber auch in die komplette Bedeutungslosigkeit. Erfolgsversprechender ist es für Sie, mit ersten kleinen Showeinlagen Akzente zu setzen. Suchen Sie sich eine einfache Einstiegsaufgabe, die Sie sich zutrauen und die auch eine gewisse Außenwahrnehmung gewährleistet. Was immer Sie unternehmen, es muss von Ihrem Chef wahrgenommen werden. Denn Sie benötigen Executive-Facetime. Am besten eignen sich Leuchtturm-Projekte, die seine Aufmerksamkeit erregen. Gehen Sie bei Ihrer Auswahl sensibel vor: Nehmen Sie den alten Abteilungs-Hasen nichts weg und vermitteln Sie nicht das Gefühl, Sie könnten mit Ihrem neuen Aktivismus jemanden ausstechen wollen. Die Retourkutsche wäre schmerzhaft, und für eine wirksame Verteidigung fehlen Ihnen noch die erforderlichen Bündnispartner. Trotzdem sollten Sie von Anfang an selbstbewusst auftreten und bei überschaubaren Aufgaben selbständige Entscheidungen treffen. Sie haben sich nicht für einen Platz im Betriebskindergarten beworben, sondern Sie sollen Ihrem Chef einen Mehrwert bieten. Doch prüfe wer sich ewig bindet. In jedem Unternehmen gibt es die „Schwarzer-Peter-Aufgaben“, die aus gutem Grund keiner haben will. Sie auch nicht. Überlegen Sie genau, wofür Sie sich freiwillig engagieren – und wie Sie die übernommenen Aufgaben später wieder loswerden können.

Gern gesehen ist die freiwillige Unterstützung von Kollegen, die neue verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen. Docken Sie gezielt bei diesen Company-High-Flyern an und offerieren Sie Ihre Mithilfe. Die damit verbundene Mehr-Arbeit wird im Zweifel sowieso der Kollege Überflieger machen. Bei der späteren Ergebnispräsentation können Sie einen Teil der fremden Lorbeeren souverän für sich einstreichen. Sie haben das Projekt schließlich maßgeblich unterstützt, und der Erfolg hat viele Väter. Arbeiten Sie verdeckt aus dem Hinterhalt. Ihre Trittbrettfahrer-Strategie müssen Sie unauffällig durchziehen. Neben Lob sammeln Sie auch noch Anerkennung für Ihre Teamfähigkeit. Sobald die Aufgabe erfolgreich abgeschlossen ist, springen Sie auf den nächsten Prestige-Projekt-Zug auf, denn die Lorbeeren von heute sind schnell der Kompost von morgen. Für den Fall, dass die übernommene Aufgabe in die Hose geht, ist Ihr Risiko überschaubar. Sie können die komplette Schuld dem erfahrenen Teamgefährten in die Schuhe schieben. Er hätte wissen müssen, wie’s besser geht. Sie wollten ja nur helfen.

Als Mitschwimmer müssen Sie stets der Nette sein. Zähne zeigen durch Lächeln ist Ihre Mission. Sie haben in der Beobachtungsphase ausreichend Informationen über Ihre Mitspieler sammeln können. Jetzt ist es an der Zeit, sich in Geselligkeit und Smalltalk zu beweisen. Zeigen Sie Interesse an den kruden Hobbies Ihrer Kollegen. Loben Sie, wo immer es geht, sei es das tolle Arbeitsklima, die schönen Büroräume, das großzügige Kaffeeangebot. Wenn Sie neu in Ihren Arbeitsort gezogen sind, schwärmen Sie, was Ihnen dort gut gefällt. Selbst wenn Sie am langweiligsten Ort der Republik gestrandet sind. Es findet sich immer etwas, das Sie loben können. In der Mitschwimmphase geht es darum, bei Ihren Kollegen so viele Sympathiepunkte wie möglich zu sammeln. Was die Details Ihres Privatlebens betrifft, halten Sie sich soweit wie möglich zurück. Erst wenn Sie fest im Unternehmenssattel sitzen, können Sie ausgewählte Informationen darüber preisgeben. Grundsätzlich gilt, so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten.

Am überzeugendsten spielen Sie Ihre neue Rolle, wenn Sie als devot-selbstbewusster Kollege auftreten. Drehen Sie Ihre Runden in der Firma, klopfen Sie höflich an, bevor Sie irgendwo eintreten. Präsentieren Sie sich als Obersympath und zeigen Sie größte Dankbarkeit, wenn sich tatsächlich jemand die Zeit nimmt, Ihnen Dinge zu erklären. Auch wenn Sie schon längst alles wissen, zeigen Sie Interesse, lassen Sie sich belehren und nehmen Sie Ratschläge an. Man wird Sie sonst als arroganten Besserwisser ins berufliche Abseits stellen. Und dort stehen viele, aber auf keinen Fall Sie.

Auf der Suche nach Verbündeten müssen Sie den Kontakt zur Sekretärin Ihres Chefs intensivieren. Das Optimum ihres Beziehungslevels sollte eine gefühlte Mutter-Sohn-Beziehung sein. Die Dame muss sich für Sie verantwortlich fühlen, Sie beschützen und auch stolz auf Sie sein können, wenn Sie tatsächlich etwas gut gemacht haben. Gehen Sie behutsam und überlegt vor. Ihre Waffen sind Aufmerksamkeit, Charme und Komplimente. Bieten Sie ihr Hilfe bei kleinen Dingen an, die Ihre Kompetenz nicht in Frage stellen. Nehmen Sie die Post mit, helfen Sie ihr bei der Suche nach bestimmten Dokumenten oder Verträgen. Finden Sie heraus, welche Süßigkeiten sie gerne mag und bringen Sie in regelmäßigen Abständen welche mit. Plaudern Sie über ihre Hobbies, zeigen Sie Verständnis für die tolle Arbeit, die sie leistet. Hin und wieder ein kleines Kompliment. Aber niemals zu dick auftragen. Jedes Kompliment muss so gut sitzen wie Ihr Anzug. Pflegen Sie diese Beziehung bestmöglich und Sie werden staunen, wie reichhaltig die Ernte sein wird.

Jammern ist besonders in der Anfangsphase eine Todsünde. Ausreichend Nörgler gibt es in jedem Unternehmen. Als Neubesetzung singen Sie nicht im Klage-Kanon der Konzernopfer mit, sondern vermitteln frische Energie und Enthusiasmus. Das wird Ihr Chef positiv bemerken und es erhöht Ihren Sympathiefaktor. Hüten Sie sich vor den Verzweifelten. Diese erkennen Sie daran, dass sie gleich auf „vertraut“ mit Ihnen machen und fleißig aus dem Nähkästchen plaudern. Mit halb vertraulichen Informationen buhlen diese verlorenen Individuen um Ihre Gunst. Dabei sind sie die totalen Unternehmens-Außenseiter und für Sie Personae non gratae. An ihrer Seite können Sie nur verlieren.

Ein Beweis für gute Erziehung ist Pünktlichkeit. Sie wollen den bestmöglichen Eindruck vermitteln. Also trödeln Sie nicht und erscheinen Sie nicht zu spät bei Terminen. Begeben Sie sich rechtzeitig auf die Suche nach den geheimen Veranstaltungsorten. Diese sind für Neuanfänger besonders hinterhältig versteckt. Ihr pünktliches Erscheinen beweist Ihrem Gegenüber, dass Ihnen Ihre Zeit mindestens genauso wertvoll ist wie die seine. So können Sie Vertrauen aufbauen und beweisen Verlässlichkeit. Erst wenn Sie wissen, wie der Hase läuft, machen Sie es frei nach Bob Hope „Pünktlichkeit ist die Kunst, richtig abzuschätzen, um wie viel der andere sich verspäten wird.“ Irgendwann kommt jeder einmal zu spät. Wenn es Sie erwischt und Sie nach durchzechter Nacht die Zeit aus den Augen verloren haben, achten Sie auf die Glaubwürdigkeit Ihrer Verspätungsausrede. Tragische Ereignisse sollten sich bei Ihren Ausreden nicht zu oft wiederholen. Wenn Sie zu oft an den Herausforderungen des Nah- und Fernverkehrs scheitern, werden Sie sich den Vorwurf fehlender Voraussicht und Planungsunfähigkeit gefallen lassen müssen.

Auch wenn Sie nach den ersten hundert Tagen ein fantastisches Gefühl für Ihre bisher erbrachten Leistungen haben, schadet ein kurzer Reality-Check mit Ihrem Chef nicht. Das Chefgespräch müssen Sie aktiv einfordern, denn er mag keine Mitarbeitergespräche und hat Besseres zu tun. Bitten Sie ihn freundlich lächelnd um ein kurzes Feedback-Gespräch, damit Sie wissen, wo Sie stehen. Wenn er Sie dabei nicht gerade anbrüllt, hören Sie ihm bewundernd zu und nicken verständnisvoll. Konstruktive Kritik nehmen Sie auf Ihre To-do-Liste für die nächsten Wochen. Erwarten Sie nicht, dass er wirklich weiß, wann Ihre Probezeit abgelaufen ist. Viele harren gespannt auf das Fristende und erwarten am D-Day einen freundlichen Handschlag oder ein euphorisches Hurra Ihrer neuen Schicksalsgemeinschaft. In fast allen Fällen schleicht sich das Ende der Probezeit heimlich und leise in Ihre Personalakte und niemanden fällt es auf. Das Einzige, was sich nach dem Ablauf der Probezeit für Sie verbessert, ist, dass Sie jetzt vorsichtig nach ein paar Tagen Urlaub fragen dürfen und sich Ihre Kündigungszeit von einem auf zwei oder ein paar mehr Monate verlängert. Der Rest bleibt wie er ist. Die Räder der Konzernmühle drehen sich wie jeden Tag unermüdlich und unaufhaltsam, Sie blicken in dieselben leeren Gesichter, lachen über dieselben geschmacklosen Witze und spielen Ihre nun gut einstudierte Rolle als Industrieschauspieler für die vertraglich vereinbarte Gage.

Ob Sie ein schauspielerisches Naturtalent sind oder die industrielle Schauspielkunst erst erlernen müssen – denken Sie immer daran, dass Sie nicht alleine spielen, sondern von Schauspielern umgeben sind. Jeder Teilnehmer am beruflichen Schauspiel verfolgt ausschließlich seine eigenen persönlichen Interessen. Sollte jemand behaupten, dass er dabei die Interessen des Unternehmens verfolge, ist das glatt gelogen. Objektive Unternehmensinteressen gibt es genauso wenig wie objektive Entscheidungen. In einer Welt von Individuen ist für Objektivismus kein Platz. Immer wieder werden Sie Kollegen über „politische Entscheidungen“ lamentieren hören, bei denen angeblich aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen gegen ihre fantastischen Vorschläge entschieden wurde. Doch politisch wurde in diesen Fällen gar nichts entschieden. Sondern es hat einfach der bessere Schauspieler mit seiner Vorstellung überzeugt. Jammernde Kollegen sind schlechte Verlierer.

Trotz dieser Widrigkeiten existiert in Unternehmen tatsächlich ein Gefühl von Teamgeist und Teamwork. Dieses Gefühl könnten Sie bereits während Ihrer Probezeit verspüren. Die eigentliche Triebfeder dahinter ist jedoch nicht ein sozialromantisches Gemeinschaftsgefühl. Vielmehr ist es die alte Regel der Kette mit dem schwächsten Glied. Ein gut vorgetragenes Theaterstück lebt zwar von seinen brillierenden Hauptrollen. Aber je besser die Nebenrollen mitspielen, desto überzeugender ist die Gesamtvorführung für das Publikum. Fällt nur ein Kollege aus der Rolle, kann er das ganze Ensemble in den Abgrund reißen. Daher bilden sich in Firmen über die Jahre auch besonders erfolgreiche und eingespielte Schauspielensembles. Diese nehmen nur außergewöhnlich begabte neue Schauspieler in ihre Reihen auf – und meistens auch nur dann, wenn diese ihre Qualitäten im Unternehmensspielplan bereits bewiesen haben. Erfolgreiche Menschen sind gerne mit Erfolgreichen zusammen, denn wer spielt gerne seine Rolle in einem B-Movie. Erwarten Sie daher nicht, dass Sie gleich zu Anfang einen der begehrten Plätze in diesen Inner-Circle-Ensembles ergattern können. Aber setzten Sie es sich als Ziel. An diesen Kollegen geht auf Ihrem Karrierepfad kein Weg vorbei.

CLMs in der Probezeit

INDUSTRIESCHAUSPIELER ALS ZWEITER BILDUNGSWEG

Auf dem Karriereweg führen nicht alle Wege nach Rom, sondern entweder in die Rente oder in die Altersarmut. Während Ihrer beruflichen Blütezeit liegt es in Ihrer Hand, wie Sie die Weichen stellen und ob Sie nach Erreichen des Rentenalters in den strahlenden Ruhestandsbahnhof einfahren oder auf dem sozialen Abstellgleis enden.

Nach den ständigen Gallup-Umfragen (Quelle 4) leisten alleine in Deutschland ca. fünfundachtzig Prozent aller Beschäftigten maximal einen Dienst nach Vorschrift. Dass diese Kollegen keine großen Karrieresprünge machen und finanzielle Reichtümer anhäufen werden, liegt auf der Hand. Diese Arbeitseinstellung fand in Europa erstmals 1931 unter der Bezeichnung „Passive Resistenz“ in Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ literarische Erwähnung. Wer nur Dienst nach Vorschrift leistet, vermeidet jede Form von Eigeninitiative. Frei nach dem Motto „Keine Weisung, keine Handlung“ achten diese Kollegen auf die überbetonte Einhaltung von Vorschriften, auch wenn sie offensichtlich unsinnig und ineffizient sind. Die Steigerung des „Dienst nach Vorschrift“ ist die innerliche Kündigung, bei der jede Form der emotionalen Bindung zum Arbeitgeber verschwindet. In diesem beruflichen Dämmerzustand befinden sich immerhin fünfzehn Prozent aller Angestellten.

Gehören Sie zu den traurigen fünfundachtzig Prozent der Lohnsoldaten, die roboterartig und emotionslos ihre Tagesschicht verrichten? Machen Sie eine kurze Bestandsaufnahme Ihrer beruflichen Situation. Für einen Quereinstieg in die Industrieschauspielerbranche ist es nie zu spät.

Sollten Sie mindestens zwei Fragen mit „Ja“ beantwortet haben, ist die Zeit der beruflichen Weichenstellung für Sie gekommen. Noch können Sie den sozialen Abstieg vermeiden. Werden Sie zum beruflichen Quereinsteiger und treten Sie in die schillernde Welt der Industrieschauspielerei ein. Viele erfolgreiche Persönlichkeiten haben den Karriereweg des Quereinsteigers gewählt, und es gibt sie in allen Branchen. Von Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, der Germanistik, Theater- und Musikwissenschaften studierte, dem Schauspieler Clint Eastwood, der 1986 Bürgermeister von Carmel, US, wurde, Willi Lemke, der sich nach seiner Zeit als Manager von Werder Bremen als Innensenator versuchte, Michael Diekmann, der als studierter Philosoph Vorstandschef der Allianz wurde, Stefan Raab, der vom Metzger zu einem der erfolgreichsten deutschen TV-Unterhalter aufstieg, Joschka Fischer, der als Taxifahrer die Grundlagen der deutschen Außenpolitik erlernte, bis zu Arnold Schwarzenegger, der es als Bodybuilder und Schauspieler zum Gouverneur von Kalifornien schaffte.

Lassen Sie sich durch diese großen Namen nicht abschrecken. Ihr schauspielerisches Ziel ist nicht die ganz große Karriere, sondern eine gehobene Position mit angemessener Entlohnung für Ihre schauspielerische Leistung bei ressourcenschonendem Arbeitseinsatz. Ein Jobwechsel kann für Ihre neue Karriere hilfreich sein. Sie dürfen für Ihren neuen Lebensabschnitt aber auch Ihr bestehendes Unternehmen wählen. Bedenken Sie aber, dass der Transformationsprozess an Ihrem bestehenden Arbeitsplatz deutliche länger und mühsamer sein wird. Bei Ihrem Chef und Kollegenkreis sind Sie noch mit dem Stigma des fleißigen Arbeitsbienchens oder des phlegmatischen „Dienst nach Vorschrift“-Typen behaftet. Ihre Neupositionierung und Rebranding-Kampagne als Karriere-Hot-Shot und Glory Hunter im Schafspelz des Industrieschauspielers müssen Sie daher vorsichtig und empathisch umsetzen. Sie dürfen Ihr Umfeld nicht überfordern. Lassen Sie den Kollegen Zeit, sich an Ihre neue Rolle zu gewöhnen. Die werden sich noch früh genug wundern, wenn Sie zum richtigen Zeitpunkt an ihnen vorbeiziehen.

TEIL 2: VENI, VIDI, LODU

Sobald Sie die lästigen Hindernisse der Bewerbungs- und Probezeit hinter sich gelassen oder sich als Quereinsteiger neu positioniert haben, dürfen Sie endlich auf der großen Unternehmensbühne Ihr schauspielerisches Können zeigen. In den nachfolgenden Kapiteln finden Sie hilfreiche Tricks, wie Sie bei Ihrer Show die Kollegen souverän an die Wand spielen.

DAS KOSTÜM DES INDUSTRIESCHAUSPIELERS

Als Industrieschauspieler stellen Sie sich regelmäßig die Fragen: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und vor allem: Was ziehe ich dazu an? Die ersten beiden Fragen können Sie im besten Falle selbst beantworten. Der letzte Teil der Fragen wird im folgenden Abschnitt erörtert.

Beim Thema Berufsgarderobe ist es Ihre primäre Aufgabe, perfekt auszusehen. Der Mensch lässt sich gerne blenden, und diese Chance müssen Sie zu Ihrem Vorteil nutzen. Dem Spezialisten, Systemadministrator oder IT-Chef wird man aufgrund seiner Fachkenntnis auch die größten Kleidersünden verzeihen. Sei es der männlichen Pferdeschwanz (den Sie bereits seit Ihrer Zivi-Zeit aus Ihrer stilgeprägten Umwelt verbannt haben), die sommerliche Tennissocke-Sandalen-Variation mit Dreiviertel-Hose (gerne begleitet von beißendem Schweißgeruch), die Gruft-Kluft mit Piercing-Variation (begleitet von einem schlurfenden Gang in Schildkrötenhaltung) oder die über dem Bauchnabel fixierte Funktionshose mit Ledergürtelimitation (gerne kombiniert mit einem extrovertierten Brillengestell im Colani-Design, Gläser ungeputzt). Trotz dieser höchst unerfreulichen Erscheinung ist man ist froh, diese Fach- und Technik-Nerds im Unternehmen zu haben und dass sie einfach nur ihren Job erledigen. Da keiner weiß, was sie genau machen, umgibt sie ein unsichtbarer Schutzmantel ästhetischer Unangreifbarkeit.

Ganz anders sieht die Modesituation bei Ihnen aus. Da Sie durch fehlendes Fachwissen glänzen, müssen Sie Ihre Inkompetenz durch perfekte Show und Erscheinung ausgleichen. „Man wirft sich in Schale, um sich zu schützen“, bezeichnete der Aphoristiker Michael Richter dieses Verhalten (Quelle 5). Aber halten Sie Maß. Es geht nicht darum, in Ihrem Arbeitsumfeld aufregende modische Akzente zu setzen. Ihr Ziel ist es, mit Ihrer Kleiderwahl Kompetenz, Stilsicherheit, Souveränität und einen kleinen Hauch Individualismus auszustrahlen. Je nach Branche ist Ihr modischer Aktionsradius unterschiedlich weit gefasst. Beginnen Sie mit einer visuellen Bestandsaufnahme im Kollegenkreis. Wer trägt was und welche Position bekleidet er. Orientieren Sie sich bei Ihrer Kleiderwahl an den Personen, die über Ihnen stehen. Von ihnen wollen Sie wahrgenommen werden und dort, wo die sind, wollen Sie hin. Giorgio Armani hat es sehr passend formuliert: „Man soll sich nicht für den Job kleiden, den man hat, sondern für den, den man haben möchte.“ Nach Analyse der kollegialen Kleiderordnung folgt Ihr Schrankabgleich. Passt Ihre bestehende Kleidersammlung für das modisch definierte Ziel oder empfiehlt sich die Entsorgung oder Erweiterung Ihres aktuellen Textilbestandes? Wählen Sie Ihre zukünftige Garderobe so, dass Sie marginal besser als die modisch definierten Zielpersonen angezogen sind. Das ist eine Gratwanderung, denn wenn Sie übertreiben, könnte das die Missgunst der übertroffenen Kollegen nach sich ziehen. Wichtig ist, dass Sie sich wohl in Ihrer zweiten Haut fühlen. Tragen Sie nur Sachen, die Ihnen ein gutes Gefühl geben, denn das stärkt automatisch Ihr Selbstbewusstsein und wertet Ihre Ausstrahlung auf. Nichts ist schlimmer als ein Outfit, in dem Sie sich unwohl fühlen. Das spürt Ihr Gegenüber sofort.

Arbeiten Sie in einem kreativen Umfeld, versuchen Sie im Schuh- und Sneaker-Bereich immer ein exklusiveres Modell als Ihre Kollegen zu tragen. Orientieren Sie sich an den im Unternehmen getragenen Marken, halten Sie Schritt mit modischen Trends. Base-Caps, witzige Hüte, Piercings, Tattoos und sonstigen Schmuckvariationen streichen Sie von Ihrer Dekorationsliste. Das gehört nicht in die Berufswelt. Ihre Aufgabe ist die Wahl einer modernen Freizeitkleidung, die gut sitzt und in der Sie sich wohlfühlen. Optimalerweise verfügen Sie über Geschmack und können die benötigten Trend-Kleidungsstücke selbst einkaufen. Auch Freizeitkleidung muss passen und nicht „Loose fit“ für maximale Bewegungsfreiheit bedeuten. Achten Sie beim Einkauf darauf, dass die Sachen super sitzen. Wenn auf einem Kleidungsstück „Für alle Größen“, oder „One Size Fits All“ steht, passt es niemandem. Verfügen Sie über die Fähigkeit einer realistischen Selbsteinschätzung und kommen zu dem Ergebnis, dass Sie eine modische Niete sind, bitten Sie Freunde um eine Einkaufsberatung. Die gewählten Berater sollten einen ähnlichen Kleidungsstil wie Ihre Arbeitskollegen haben und Ihnen in Vergangenheit als modische Opinion-Leader aufgefallen sein.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783959121910
ISBN (Buch)
9783959121927
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Karriere Ratgeber Job Beruf Arbeitswelt Männer Gender Karriereleiter
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Titel: FAKE IT TILL YOU MAKE IT