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Psychologische Probleme des Alterns

The Psychological Problems of Aging

©2016 11 Seiten

Zusammenfassung

Der Beitrag ‚Psychologische Probleme des Alterns‘ ist der einzige Beitrag, den Fromm direkt zur Frage des Alters und Alterns verfasst hat. Gegenüber den gängigen Klischees bei der Einschätzung der Probleme des Alters und Alterns (Konsum, Langeweile, Zeit totschlagen) erkennt Fromm, dass bestimmte Charakterzüge, die alte Menschen unausstehlich oder auch liebenswert machen, keine Folge des Altersprozesses selbst sind; vielmehr sind die Besonderheiten des Alters als Ausdruck der Möglichkeit zu sehen, die im Berufsleben nötigen Persona-Haltungen aufgeben zu können, so dass der wahre Charakter eines Menschen zum Vorschein kommt. Fromm zeigt diesen „Verwandlungsprozess“ hinsichtlich nekrophiler Tendenzen, bei Abhängigkeitshaltungen und bezüglich des Neids auf.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Psychologische Probleme des Alterns

(The Psychological Problems of Aging)

Erich Fromm
(1966g)

Als E-Book herausgegeben und kommentiert von Rainer Funk[1]
Aus dem Amerikanischen von Liselotte und Ernst Mickel.

Erstveröffentlichung unter dem Titel The Psychological Problems of Aging in Journal of Rehabilitation (Oktober 1966); die von Liselotte und Ernst Mickel besorgte erste deutsche Übersetzung erschien 1981 in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zehn Bänden, Stuttgart (Deutsche Verlags-Anstalt), GA IX, S. 425-435.

Die E-Book-Ausgabe orientiert sich an der von Rainer Funk herausgegebenen und kommentierten Textfassung in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag) 1999, GA IX, S. 425-435.

Die Zahlen in [eckigen Klammern] geben die Seitenwechsel in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden wieder.

Copyright © 1966 by Erich Fromm; Copyright © als E-Book 2016 by The Estate of Erich Fromm. Copyright © Edition Erich Fromm 2016 by Rainer Funk.

Ich bin froh, beim Empfang dieser Einladung festgestellt zu haben, dass diese Dienststelle noch immer Office for the Aging heißt und dass auch der Vorsitzende – wie ich seiner Ankündigung entnehmen konnte – nicht vorhat, dieses Amt in Office of Senior Citizens umzutaufen, wie das heute gern geschieht.

Es würde mir wahrscheinlich nicht viel ausmachen, wenn mich jemand einen alten Narren heißen würde. Die Hälfte dieser Behauptung würde stimmen und über die andere Hälfte ließe sich streiten. Würde mich dagegen jemand einen Senioren nennen, dann käme ich in Verlegenheit, weil diese Bezeichnung zu denen gehört, die etwas Peinliches und Anstößiges zu vertuschen scheinen. Wir reden vom Tod und vermeiden dabei, vom Toten und vom Leichnam zu sprechen; steht ein Krieg bevor, dann sprechen wir von einer kritischen Lage anstatt von einem Krieg. In den meisten Ländern heißt der Kriegsminister heute Verteidigungsminister. Freilich ist etwas Trauriges am Tod und etwas außerordentlich Trauriges am Krieg. Doch muss man fragen, ob wir nicht auch etwas verbergen möchten, wenn wir vom Altwerden reden. Ist es denn etwas Bedauerliches, etwas, wofür man sich schämen muss?

Sprechen wir vom psychologischen Problem des Alterns, dann lautet die erste Frage: Ist das Alter etwas Peinliches? Ist es ein schmerzliches Stadium auf unserem Lebensweg, das wir mit allen möglichen Worten beschönigen müssen, oder handelt es sich auch nur um eine bestimmte Lebensstufe genau wie die Adoleszenz, wie die Kindheit und das mittlere Lebensalter, und sehen wir uns nicht vor das gleiche Problem gestellt wie bei den andern Lebensstufen auch: ob wir es gut durchstehen und wie wir in diesem bestimmten Stadium so lebendig wie möglich sein können.

Es ist durchaus sinnvoll, von einer Kunst des Lebens zu sprechen, so dass die Kunst zu altern ein ebenso wichtiges Kapitel in der Kunst des Lebens ist wie die Kunst, ein Kind zu sein, und wie die Kunst, ein Heranwachsender zu sein.

Zweifellos ist das ganze Problem des Alters ein spezielles Problem der modernen Industriegesellschaft. Vor hundert oder selbst noch vor fünfzig Jahren war hohes Alter sehr selten. Dass man seine Enkel oder seine Urenkel noch erlebte, war eine Ausnahme, während es heute immer häufiger der Fall ist. Es ist völlig klar, dass das Alter ein von der modernen Industriegesellschaft geschaffenes Problem darstellt. Es ist in [IX-426] erster Linie ein Problem, das mit den Fortschritten der Medizin zu tun hat, die nur einen Teil des allgemeinen Fortschritts in Naturwissenschaft und Technik darstellen. Außerdem könnte man sogar sagen, dass sich das Alter nicht nur im biologischen und physiologischen Sinne, sondern auch mit gesellschaftlichen Begriffen definieren lässt. Das Alter ist eine Zeit, in der man nicht mehr arbeiten muss. Wann der Zeitpunkt, dass man nicht mehr zu arbeiten braucht, eintritt, ist weitgehend eine Frage der industriellen Organisation. Es ist vorauszusehen, dass mit zunehmender Automatisierung nicht nur die Arbeitszeit, sondern auch das Rentenalter immer weiter heruntergesetzt wird und dass vielleicht in fünfzig Jahren das Alter schon kurz nach Erreichung des vierzigsten Lebensjahrs beginnt, weil dann – von wenigen Ausnahmen abgesehen – niemand über Vierzig mehr wird arbeiten müssen oder auch nur die Möglichkeit dazu hat.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Deutsche E-Book Ausgabe
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783959121743
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Februar)
Schlagworte
Erich Fromm Psychoanalyse Sozialpsychologie Altern Verwandlungsprozess
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Titel: Psychologische Probleme des Alterns