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Seiten: (ca.) 6
Erscheinungsform: Deutsche E-Book Ausgabe
Erscheinungsdatum: 1.2.2016
ISBN: eBook 9783959121453
Format: ePUB
Die Anwendung psychoanalytischer Einsichten auf das Gebiet der Strafjustiz hat Fromm nicht sehr lange beschäftigt, dafür jedoch umso intensiver. Der Beitrag "Der Staat als Erzieher. Zur Psychologie der Strafjustiz" dokumentiert das Interesse des dreißigjährigen Fromm – der eben seine psychoanalytische Ausbildung in Berlin abgeschlossen hatte – nach der sozialpsychologischen Bedeutung zu fragen, die das Strafen im Bereich der Justiz hat. Dass Fromm die Strafjustiz als nicht zweckmäßig beurteilt, hat in erster Linie mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu tun, autoritäre Verhältnisse aufrecht zu erhalten.
Erich Fromm
(1930b)
Als E-Book herausgegeben und kommentiert von Rainer Funk[1]
Erstveröffentlichung unter dem Titel Der Staat als Erzieher. Zur Psychologie der Strafjustiz, in: Zeitschrift für Psychoanalytische Pädagogik, Wien, 4 (1930) S. 5-9. Wiederabgedruckt in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag) 1999, Band I, S. 7-10.
Die E-Book-Ausgabe orientiert sich an der von Rainer Funk herausgegebenen und kommentierten Textfassung in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag) 1999, GA I, S. 7-10.
Die Zahlen in [eckigen Klammern] geben die Seitenwechsel in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden wieder.
Copyright © 1930 und 1980 by Erich Fromm; Copyright © als E-Book 2016 by The Estate of Erich Fromm. Copyright © Edition Erich Fromm 2016 by Rainer Funk.
Es ist in letzter Zeit ein gesteigertes Interesse für das Problem der Psychologie des Verbrechers, des Richters, der Strafrechtsprechung und des Strafvollzugs festzustellen. Das mag wesentlich drei Gründe haben. Einmal den der wachsenden Ausbreitung psychoanalytischer Einsichten und speziell des Erscheinens der das Problem der Psychologie des Verbrechers und Richters behandelnden Publikationen von F. Wittels (1928) und Alexander-Staub (1928). Zum anderen wird das gesteigerte Interesse wohl in der Tatsache liegen, dass sich eine Reihe von großen Kriminalprozessen aneinanderreihten (es sei nur an die Fälle Friedländer, Halsmann[2], Husmann erinnert), in denen die psychopathologischen Grundlagen des Verbrechens so offenkundig waren, dass sie zum Nachdenken über das theoretische Problem der Kriminalpsychologie reizen. Zu diesen mehr an der Oberfläche liegenden Gründen kommt als weiterer hinzu, dass die gesamte gesellschaftliche, politische und geistige Entwicklung es notwendigerweise mit sich bringt, dass altehrwürdige, autoritätsgetragene Institutionen, wie die Justiz, von den fortschrittlich gerichteten Teilen der Gesellschaft in ihrer Problematik durchschaut werden und dass man um eine theoretische Bewältigung der Probleme bemüht ist. Man hat vielfach geglaubt, dass den theoretischen Einsichten über die unbewussten Hintergründe des Verbrechens und den unbewussten Sinn der Strafe und Strafwirkung auch eine große praktische Bedeutung zukommen könne. Man hat geglaubt, dass, wenn es gelänge, dem Gericht nur deutlich genug zu machen, dass ein Verbrecher aus unbewussten, triebhaften Motiven handelt, es auch gelingen müsste nachzuweisen, dass eine Bestrafung auf diesen triebhaften Verbrecher eine bessernde Wirkung gar nicht haben könne, weil ja die Motive seines Handelns ihm selbst nicht bewusst und infolgedessen auch von seinem Willen nicht beherrschbar seien. Man erwartete, dass ein einsichtiges Gericht aus diesen Erkenntnissen die entsprechenden Konsequenzen ziehen würde und als Maßnahme gegen den psychopathischen Verbrecher die allein zweckmäßige eines Heilungsversuches und nicht die unsinnige einer Bestrafung ergreifen würde.
Es liegen mit solchen Versuchen, durch das psychoanalytische Verständnis des Verbrechers eine andere und zweckmäßigere Prozedur als die bisherige zu veranlassen, noch wenig Erfahrungen vor, so dass man aus der Praxis noch zu keinem Urteil über die Chancen dieser [I-008] Bemühungen kommen kann. Aber es gibt einige theoretische Erwägungen, die geeignet sind, innerhalb der heutigen Gesellschaft recht skeptische Gedanken über die Aussichten solcher Bemühungen aufkommen zu lassen. Da sie sich in mancher Weise mit pädagogischen Problemen berühren, dürften sie vielleicht das Interesse gerade der Leser dieser Zeitschrift beanspruchen.