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Seiten: (ca.) 9
Erscheinungsform: Deutsche E-Book Ausgabe
Erscheinungsdatum: 3.11.2015
eBook-Preis: US$ 0,99
Format: ePUB
ISBN (eBook): 9783959121026
Auch wenn 1969, als dieser Beitrag entstand, noch nicht vom „Kampf der Kulturen“ und dem Kampf um die Vormachtstellung der westlich-abendländischen Kultur die Rede war, sondern eher die Vorstellung eines katastrophalen Endes der westlichen Gesellschaft und der gesamten Menschheit das Denken bestimmte, so steuert Erich Fromm mit diesem Beitrag doch wichtige Erkenntnisse zur Frage von Veränderung und Zukunft von Gesellschaften bei. Gesellschaften und Kulturen werden psychologisch durch die Orientierungen des Gesellschafts-Charakters zusammengehalten. Dabei begreift Fromm den das menschliche Verhalten disponierenden Charakter als eine systemische Größe. Eine dauerhafte Änderung des Verhaltens wird sich nur erreichen lassen, wenn es zu einer Veränderung des gesamten „Systems“ kommt, das heißt, wenn sich die dem Verhalten zugrunde liegende Charakter-Orientierung ändert.
Im Beitrag benennt Fromm Indikatoren für den Zerfall eines gesellschaftlichen Systems und fragt, „ob die westliche Gesellschaft noch die Vitalität hat, die notwendigen Änderungen des Systems vorzunehmen, um den Zerfall zu verhindern, oder ob wir die Kontrolle verloren haben und folglich auf eine Katastrophe zusteuern“.
Aus dem Inhalt
• Die Eigenart von Systemen
• Vom Zerfall gesellschaftlicher Systeme
• Die Zukunft der gegenwärtigen technologischen Gesellschaft – Zerfall oder Reintegration?
Die Überlebenschancen der westlichen Gesellschaft
Inhalt
2. Vom Zerfall gesellschaftlicher Systeme
3. Die Zukunft der gegenwärtigen technologischen Gesellschaft – Zerfall oder Reintegration?
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Impressum
Vom „Zerfall einer Gesellschaft“[1] zu sprechen bedeutet nicht, dass die Gesellschaft ein Organismus ist wie eine Zelle oder das gesamte Körpersystem. Tatsächlich wurden Gesellschaften in Analogie zu lebenden Organismen beschrieben, so etwa von Oswald Spengler in seinem Buch Untergang des Abendlandes (1918-1922). Für Spengler durchlaufen auch Gesellschaften die gleichen Folgen von Geburt, Jugend, Reife und Alter wie der Organismus. Nun sind Analogien zwar anregend, doch sie beweisen nichts. Auch ohne derartige Analogien zu benützen, können wir vom Zerfall der Gesellschaften sprechen, insofern wir eine Gesellschaft als ein System (oder eine Struktur) begreifen. Organismen wie Gesellschaften ist gemeinsam, dass sie beide Systeme sind. Sie sind Gesetzmäßigkeiten unterworfen, die jedem System zu eigen sind, selbst wenn die Systeme substantiell sich sehr voneinander unterscheiden. Solche Systeme sind zum Beispiel der menschliche Organismus, das Sonnensystem, Sprachsysteme, Wirtschaftssysteme, politische Systeme, institutionelle Systeme usw.
Es ist die Eigenart jedes Systems, dass alle seine Teile so integriert sind, dass das richtige Funktionieren jedes Teiles die notwendige Voraussetzung für das richtige Funktionieren jedes anderen Teiles ist. Das System stellt also eine Größe dar, die sich von der bloßen Summe aller seiner Bestandteile unterscheidet. Aus dieser Tatsache ergeben sich die folgenden Merkmale:
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen über die Eigenart von Systemen geht es nun um das spezielle Problem des Zerfalls von Gesellschaften. Zuerst gilt es, in Erinnerung zu rufen, was bereits über den Zerfall von Systemen gesagt wurde: Systeme zerfallen, wenn ihre inneren Widersprüche überhandnehmen und wenn einzelne Teile und das gesamte System die Fähigkeit zu einer regenerativen Anpassung an veränderte Umstände verloren haben. Eine weitere Aussage kann noch hinzugefügt werden: Gewöhnlich erzeugt der Vorgang des Zerfallens einer Gesellschaft ein hohes Maß an Gewalt und Destruktivität innerhalb der zerfallenden Gesellschaft, wie der Zerfall des Römischen Reiches und der mittelalterlichen Gesellschaft belegen. Die zunehmende Gewalt heutzutage kann als ein Hinweis auf die Zerfallstendenzen der technologischen Gesellschaft angesehen werden.
In der Geschichte gibt es eine ganze Reihe von Gesellschaften, die auf eine Weise zerfielen, dass man annehmen könnte, sie seien gestorben, um durch völlig neue gesellschaftliche Systeme wieder ersetzt zu werden. Auf der anderen Seite finden wir gesellschaftliche Systeme, in denen solch ein Zusammenbruch vermieden wurde, weil grundlegende Veränderungen des Systems zu seiner Fortdauer führten. Eines der am häufigsten zitierten Beispiele für den Zerfall eines gesellschaftlichen Systems ist das Römische Reich. Obwohl das letzte Wort über die Gründe für den Untergang des Römischen Reiches noch nicht gesprochen wurde, nimmt man doch im allgemeinen an, dass der Grund für seinen Zerfall in seiner Unfähigkeit zu suchen ist, sich an verändernde Umstände anzupassen. Insbesondere verfügte es nicht über die technologische Basis, die wirtschaftlichen Widersprüche zu lösen, die sich innerhalb des Systems entwickelt hatten. Somit wurde das bewegliche und kosmopolitische System des Römischen Reiches durch das Feudalsystem ersetzt, das Europa für ungefähr tausend Jahre beherrschte.