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Erscheinungsform: Deutsche E-Book Ausgabe
Erscheinungsdatum: 13.8.2015
ISBN: eBook 9783959120654
Format: ePUB
Die Erforschung von Organisationen und die Organisation von Unternehmen und Arbeit ist eine relativ junge Disziplin. Erich Fromms Beitrag „Humanistische Planung“ entstand 1968, als er beim Institute of Management Sciences (TIMS) in Los Angeles über Probleme und Chancen einer integrierten Planung sprach. Unter „integrierter Planung“ wurde ein Systemdenken verstanden, bei dem die menschliche Seite jedes Managements als zentraler Faktor miteinbezogen wird. Fromm nützte die Gelegenheit zu einer Reflexion der Frage, ob sich die Normen des Humanismus und die Gebote des technischen Fortschritts notwendig ausschließen müssen. Dabei greift er den „Systemgedanken“ positiv auf, wendet ihn dann aber ganz im Sinne seiner humanistischen Prioritätensetzung an.
(Humanistic Planning)
Erich Fromm
(1970e)
Als E-Book herausgegeben und kommentiert von Rainer Funk
Aus dem Amerikanischen von Hilde Weller
Erstveröffentlichung unter dem Titel Humanistic Planning in: E. Fromm, The Crisis of Psychoanalysis. Essays on Freud, Marx and Social Psychology bei Holt, Rinehart and Winston, New York, 1970, S. 59-68. Aus dem Amerikanischen von Hilde Weller übersetzt, erschien der Beitrag 1970 erstmals auf Deutsch unter dem Titel Humanistische Planung in: E. Fromm, Analytische Sozialpsychologie und Gesellschaftstheorie (1970a), S. 162-173, beim Suhrkamp Verlag in Frankfurt am Main. 1981 wiederabgedruckt in Erich Fromm Gesamtausgabe in zehn Bänden, Stuttgart (Deutsche Verlags-Anstalt), GA IX, S. 29-36.
Die E-Book-Ausgabe orientiert sich an der von Rainer Funk herausgegebenen und kommentierten Textfassung der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag) 1999, GA IX, S. 29-36.
Die Zahlen in [eckigen Klammern] geben die Seitenwechsel in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden wieder.
Copyright © 1970 by Erich Fromm; Copyright © als E-Book 2015 by The Estate of Erich Fromm. Copyright © Edition Erich Fromm 2015 by Rainer Funk.
Untersucht man die Überschneidungen, die es zwischen betriebswirtschaftlicher Planung und Regierungsplanung gibt, so erkennt man bald, dass der Gegenstand auch die Überschneidungen zwischen Psychologie und Sozialphilosophie einerseits und Management und Planung andererseits in sich schließt.[1] Das letztgenannte Konvergenzfeld umfasst zwei wichtige Bereiche; der eine davon ist offensichtlich die Arbeit der Betriebspsychologen. Vielleicht der wichtigste Schritt, aus dem alle späteren Arbeiten resultierten, wurde von Elton Mayo mit seinem berühmten Experiment an der Hawthorne Plant von General Electric getan, als er die Wirkung verschiedener Maßnahmen zur Lenkung oder Nutzung der an den Arbeitsvorgängen beteiligten Menschen auf die Produktion untersuchte.[2]
Mayo studierte das Verhalten ungelernter Arbeiterinnen. Er legte Arbeitspausen ein, bot Tee und ähnliche Anreize an, und die Produktivität stieg. Dann verzichtete er auf all diese Anreize, und die Produktivität stieg immer noch. Schließlich kam er auf die Idee – die die Erkenntnis eines großen Wissenschaftlers war –, dass es nicht die Pausen und die Anreize gewesen waren, die nicht nur die Produktivität erhöht, sondern auch das „Blaumachen“ verringert und zu freundlicheren menschlichen Beziehungen bei diesen Arbeiterinnen geführt hatten, sondern ein völlig anderer Faktor: das Einsetzen von Interesse an dem, was die Arbeiterinnen taten. Sie nahmen aktiv und mit Interesse an ihrer Tätigkeit Anteil, einfach deshalb, weil man ihnen von dem Experiment erzählt hatte, an dem sie beteiligt waren, und von seiner Bedeutung, und so war erstmals die rein mechanische, monotone und langweilige Arbeitssituation umgewandelt worden in eine, die sie interessierte. Dies war in Wahrheit der Faktor, der den Anstieg der Produktivität bewirkt hatte. Durch Mayos Experiment wurde zum erstenmal der Grundsatz bestätigt, dass Interesse an der Arbeit einen mächtigen Anreiz darstellt, das dem Anreiz durch Geld nicht unterlegen ist. Die Industriepsychologen, die Mayo folgten – Likert, McGregor, White und andere –, haben seinen Ergebnissen neues Material hinzugefügt. Vielleicht hat McGregor die radikalsten Konsequenzen gezogen, indem er hervorhob, dass nicht nur Befriedigungen des Ichs – etwa Stolz und Selbstachtung –, sondern möglicherweise auch das, was in der modernen Psychologie oft als „Selbstverwirklichung“ bezeichnet wird, zu einem Anstieg der Arbeitsproduktivität beitragen. [IX-030]
Allerdings dürfen wir den Umstand nicht außer acht lassen, dass alle diese Untersuchungen von der Frage ausgingen: „Wie kann man den Menschen motivieren, um eine bessere Produktion zu erzielen?“ Oder: „Wie sollte man die Mittel – die Menschen – einsetzen, um dem Zweck – der wirkungsvolleren Verwendung von Maschinen – besser zu dienen?“ Noch anders drückte es Professor Mayo (1933) aus, indem er seinem Buch den Titel gab: The Human Problem of Industry; er hätte es auch The Industrial Problem of Man nennen können. Die entscheidende Frage lautet jedoch: „Wer ist das Ziel, und wer ist das Mittel?“ Oder vielleicht: „Was ist der Zweck, und was ist das Mittel?“ Im Bereich der Betriebspsychologie scheint es, dass der Zweck die Arbeitsproduktivität ist und die menschliche Entwicklung – oder das, was für den Menschen gut ist, ein Mittel zur Erfüllung dieses Zweckes. In der Tat scheinen viele Betriebspsychologen die Existenz einer Art vorgegebener Harmonie zwischen menschlichen und industriellen Interessen anzunehmen, einer Harmonie, die voraussetzt, dass das, was für den Menschen am besten ist, auch für die Industrie am besten sei. Ich glaube, dass das in gewissem Maße zutrifft, doch sollten wir uns fragen: „Was aber, wenn es nicht so ist?“ Wie stehen wir zu jenem herausfordernden Satz in der Bibel (Mt 16,26): „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben verliert?“ Und der Text fährt fort: „Um welchen Preis könnte er sein Leben zurückkaufen?“ Die Antwort lautet natürlich: „Das Leben hat keinen Tauschwert.“ Trotz der wertvollen Arbeit, die die Betriebspsychologie geleistet hat, meine ich, dass sie in dieser einen Beziehung die Begriffe verwechselt. Indem sie von einer vorgegebenen Harmonie zwischen den Produktionsinteressen und den Interessen des Menschen ausgeht, vertuscht sie die grundlegende Frage: „Was ist uns wirklich wichtig?“ Ist es in erster Linie die Entfaltung des Menschen oder sind es Produktion, Maschinen, Organisation?
Wir sind gezwungen, einem verwirrenden Widerspruch ins Auge zu sehen. Unsere Kultur beruht auf der jüdisch-christlichen Tradition, und wir werden großgezogen im Glauben an die Zehn Gebote und die Goldene Regel (Mt 7,12): „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch für sie! „Dennoch haben wir eine Praxis, in der nahezu jeder, der sich an diese Gebote hielte, versagen würde. Von einigen Ausnahmen, insbesondere auf gewissen Gebieten, abgesehen, ist es schwierig, großen Erfolg mit dem Befolgen unserer überlieferten Sittengesetze zu vereinen. Wir glauben an eine Reihe von Werten, während wir in der entgegengesetzten Richtung handeln. Ich bin kein Prediger, aber es ist für den Psychologen leicht zu erkennen, dass diese Kluft in uns selbst ziemlich schädliche Folgen hat. Ein Mensch, der in dieser Spaltung lebt – mit Werten, die er respektiert, und entgegengesetzten Werten, nach denen er handelt –, leidet unter einem starken Schuldgefühl, das seine Energie schwächt, ihn in die Defensive drängt, ihn oft seine eigenen Schuldgefühle auf andere projizieren lässt etc. Deshalb ist es entscheidend, dass wir den Konflikt erkennen, in dem wir leben. Folgen wir den Worten des Matthäus oder dem Prinzip, dass das Ziel all unserer Bemühungen das Wachstum und die Effizienz unserer Wirtschaftsmaschinerie ist?